Dimension 12
es dir heute abend sagen, bevor du mit ihm schläfst.« Vondik kicherte. »Schau, das Feuer steigt schon empor! Siehst du es, Elena?«
Ihr Blick schweifte über das Tal. Die Aussicht war wunderbar. Sie sah die grünen Hänge des anderen Berges und zwei der drei Dörfer, die seit dem letzten Vulkanausbruch vor mehreren Generationen wieder auf dem Abhang entstanden waren. Die zweihöckrige Insel war etwa zehn Kilometer lang und stieg schroff aus dem dunklen Gewässer des Muuksees. Der See lag im riesigen Kessel eines uralten Kraters. Keiner wußte, wie tief er war. Er war dreißig Kilometer breit. Im Osten schlängelte sich der Goldene Fluß, dessen Wasser gelb vom Treibsand des Berges war. Der Fluß entsprang im Norden und ergoß sich aus der kalten Lößlandschaft in den Kratersee. Der See hatte keinen sichtbaren Abfluß. Elena nahm an, daß unterirdische Quellen das täglich zuströmende Wasser aufnahmen. Der gelbe Treibsand verschwand zu Tonnen in den Tiefen des Sees, der unveränderlich dunkel und tief blieb. Hinter dem Flußufer lag die weite, tropische Steppe, die von unfreundlichen Stämmen bewohnt wurde. Die genügsamen Siedler des Sees verließen niemals ihre Insel, obwohl beide Berge aktive Vulkane waren, von denen der kleinere immer wieder Feuer spie. Einmal, vor zehn Jahre, hatte Elena den Vesuv gesehen. Sie war bis dicht an den Rand des Kraters getreten und hatte in den schwarzen Abgrund geblickt. Hier wagte sie sich nicht an den Krater heran. Den Einheimischen war er heilig. Die Dörfer begannen im Tal und zogen sich über Hunderte von Metern an den Hängen empor. Über den letzten Häusern lag ein dichter Urwaldgürtel. Dahinter begann eine uralte Aschenzone, die bis zum Gipfel reichte. Beim ersten Grollen des Vulkans hatte Elena auf den Gipfel klettern und die Gefahr aus nächster Nähe abschätzen wollen.
Haugan hatte es ihr verboten. Er war nicht nur ihr Geliebter, sondern der Häuptling der drei Dörfer, der König vom Goldenen Fluß. Sie durfte sich ihm nicht widersetzen. Deshalb stand sie jetzt auf dem unbewohnten Nachbargipfel und blickte übers Tal zum drohenden Vulkan.
»Viel Tod, wenn er ausbricht«, sagte Vondik.
»Aber bis dahin sind doch bestimmt alle längst in Sicherheit«, sagte Elena.
Die Kinder brachen in schrilles Gelächter aus, das langsam verebbte. Als sie noch fremd in dieser Welt gewesen war, hatte sie dieses merkwürdige Lachen unerträglich gefunden. Jetzt war sie daran gewöhnt und liebte es. Aber daß die Kinder angesichts eines brodelnden Vulkans lachten?
Der Himmel verdunkelte sich. Aus dem Osten, vom Meer her, segelten schwere Regenwolken zur Insel. Vor der Wolkenwand waren deutlich die glühenden Brocken zu sehen, die der Aschenkegel ausstieß. Elena zitterte. Wie lange würde es dauern, bis sich glühende Lava über den geheiligten Wald auf dem Vulkanabhang ergoß und unerbittlich bis in die Dörfer vorrückte? Woher nahmen die Leute nur ihre Ruhe? Selbst hier, kilometerweit vom Gefahrenherd entfernt, schien die Erde zu beben. Elena wußte, daß sich unter der ganzen Insel Feuerströme wälzten.
Vondik hatte die Hand von ihrem Schenkel genommen. Sie sah sich nach dem Jungen um. Er hockte nackt auf einem Baum und langte nach einer glänzenden Weinfrucht. Er brach sie ab und sprang zu Boden. Die anderen Kinder fingen ihn auf und trugen ihn triumphierend zu ihr.
»Eine Weinfrucht. Für dich.«
Sie streichelte ihm zum Dank die Wange und biß in die Frucht. Gebannt sahen ihr die Kinder zu. Sie lächelte, um ihnen zu zeigen, daß die Frucht reif und köstlich sei. Die Inselbewohner ließen die Früchte bis zur Gärung an den Ästen hängen. Waren sie jedoch überreif, konnten sie Übelkeit hervorrufen. Elena fühlte sich vom Genuß des ungewohnten Alkohols leicht schwindlig. Die Kinder umtanzten sie. Wie konnten sie nur so fröhlich sein? Ihre Häuser würden zerstört werden. Dabei war das Volk hier keinesfalls primitiv oder dumm. Auf seine Art war es sogar klug und empfindsam. Und doch schien sich niemand zu fürchten.
Markun, eine von Vondiks vielen Schwestern machte einen Luftsprung und zeigte: »Es blitzt schon!«
Mit tropischer Übergangslosigkeit war die Finsternis hereingebrochen. Der perlfarbene Himmel war dunkelgrau geworden. Der poröse Berg loderte wie eine riesige Fackel inmitten einer schwarzen Wolke ausströmender Gase. Und durch die Wolke zuckten weiße Blitze. Anfangs dachte Elena, die Blitze stammten von der schwarzen Regenwolke, die sie vorhin
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