Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin
meinen Stärken zählen zu wollen. Nach drei Mahnungen war im vierten und letzten Schreiben die Mitteilung zu finden, dass der Versicherungsschutz aufgehoben, die Polizei informiert worden war und darüber hinaus das Fahrzeug sofort aus dem Verkehr zu ziehen sei, anderenfalls mache man sich irrwitzig strafbar. Dieser Brief war zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als vier Wochen alt.
Im Wissen, dass das Fahren ohne Versicherung teuer werden kann, parkte ich das Auto vor meiner Haustür und ließ es zunächst stehen, mit dem festen Vorsatz, so bald wie möglich eine neue Versicherung zu beantragen. Schon wenige Wochen später klebte ein gelber Punkt auf der Windschutzscheibe. Was war passiert? Die Polizei hatte die Mitteilung bekommen, mein Wagen sei nicht mehr versichert, und hatte mich daraufhin zweimal per Brief aufgefordert, die neue Versicherungspolice beizubringen.Als das nicht geschehen war, hatte eine zuständige Fachkraft die Gegend um meine Berliner Meldeadresse herum nach dem unversicherten Kraftfahrzeug abgesucht, es gefunden und an Ort und Stelle abgemeldet. Daher der runde, gelbe Aufkleber auf der Frontscheibe. In mir erwachte ein Forschungsinteresse, das – unterstützt von einer gewissen Aufschiebeneigung – bewirkte, dass ich sogleich gezielt nichts tat. Ich wollte den gesamten Vorgang als gesellschaftspolitisches Experiment betrachten. Was passiert mit einem Auto, das unversichert und abgemeldet herumsteht? Kann man sich auf die Mechanismen eines Verwaltungsstaates mit Ordnungsfetisch verlassen?
Von meinem Balkon aus konnte ich den Wagen herumstehen sehen. Zwei Wochen lang bis in den Dezember hinein beobachtete ich ihn mit quasiwissenschaftlicher Wissbegier. Urplötzlich stand er nicht mehr dort, was man – wie ich später googelte – auch dem gelben Aufkleber hätte entnehmen können. Das Ordnungsamt hatte ein Abschleppunternehmen beauftragt. Ich setzte mir selbst eine Frist von vier bis fünf, höchstens sechs, maximal sieben Wochen, mich um das Auto und dessen Verbleib zu kümmern. Ich fahre gern Auto und brauche es eigentlich auch, daher dieses knappe, kaum einhaltbare Ultimatum. Nach kaum mehr als zweieinhalb Monaten fiel mir beim Wühlen in wichtigen Unterlagen mitten in der Nacht ein Brief des Ordnungsamts in die Hände. Begeistert öffnete ich ihn, in der zugegeben naiven Hoffnung, darin stünde etwas Ermunterndes wie ‹Alles nicht so schlimm, komm’ Se vorbei, wir kriegen das hin›. Stattdessen warf man mit einem Bündel Fristen um sich, von denen die entscheidende etwa seit einer Woche vergangen war: nämlich die zur Abholung des Wagens nach vorheriger Zahlung eines mittelerheblichen Geldbetrages. Am nächsten Taghandelte ich: Gleich morgens notierte ich auf einem Zettel den Plan, später unbedingt beim Ordnungsamt anzurufen. Wiederum wenige Tage später rief ich tatsächlich an. Ein freundlicher Mensch teilte mir die zu zahlende Summe mit, knapp 300 Euro, ein Schnäppchen geradezu. Dazu kämen aber Gebühren, Strafen, andere Gebühren und noch dritte Gebühren. Außerdem solle ich so schnell wie möglich bei der dem Abschleppunternehmen angeschlossenen Autoverwertung anrufen, vielleicht sei es noch nicht zu spät.
Es war noch nicht zu spät, wie mir der mürrische Verwerter mitteilte, ich könne den Wagen abholen. Und zwar 40 Kilometer nördlich von Berlin, an einem Ort, der weiter von jedem öffentlichen Nahverkehr nicht hätte entfernt sein können. Ein paar Tage später schaffte ich es, zum Ordnungsamt zu fahren. Beim zweiten Besuch am darauffolgenden Tag hatte es dann auch geöffnet, ich bezahlte etwa 600 Euro und bekam ein Papier mit unspektakulären Stempeln darauf ausgehändigt, für das ich auf dem freien Markt allenfalls 6 Euro bezahlt hätte. Eine Woche später, mitten im Frühling, holte ich mit einem mir bekannten Automechaniker den Wagen ab. Dass der TÜV abgelaufen war, der Schein für die ASU verloren und die Bremskolben vom vielen Herumstehen defekt, dass das Auto deshalb repariert werden musste, wobei der Automechaniker den einzigen Schlüssel verlor, der erst wiederauftauchte, als ich mich Wochen später dazu aufraffen konnte, mit dem Kfz-Brief eine Kopie anfertigen zu lassen, und dass deshalb nach der Abholung noch fünf Monate vergingen, bis ich tatsächlich wieder mit dem Auto fahren konnte, war schon nicht mehr Teil des Experiments. Aber eigentlich auch ganz interessant.»
(Sascha Lobo)
Fortschritt durch Faulheit
Technische Lösungen
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