Dinner for One auf der Titanic
retten können, nicht auszudenken, wenn ...
Wieder und wieder hatte er sie geputzt, um auch die letzte Erinnerung an die gerade noch verhinderte Schmach zu tilgen.
James schlurfte in die Küche. Einer der Küchenchefs schickte ihm eine Küchenhilfe, die ihn unterstützen sollte, die Speisen auf der frei gehaltenen Anrichte zusammen zustellen.
Durch die Küche hallten Kommandos. Ein Arbeitstrupp in blauen Uniformen tauchte das dreckige Geschirr in riesige Bottiche mit Spülwasser. Gleich nebenan putzten vier Männer und zwei Frauen in grünen Kitteln das Gemüse. Immer wieder untersuchte ein Koch die Mohrrüben, den Kohl oder die Erbsen auf makellose Sauberkeit.
Als James seinen Servierwagen zurück in den Speisesaal schob, war Miss Sophies verbliebene Tischgesellschaft bereits versammelt. Sie lief wieder einmal zu Höchstform auf.
»Ah, Dr. Breastsucker, einer der letzten zivilisatorischen Lichtblicke an unserem sich leerenden Tisch.«
»Miss Sophie, es wäre mir eine Genugtuung, wenn es mir gelänge, Ihre Sorgenfalten ein wenig zu glätten.«
»Nun, dafür habe ich meine Oliven-Nachtcreme«, sagte Miss Sophie. »Aber ist es nicht entsetzlich, was hier an Bord passiert? Gedungene Mörder, obszön drapierte Leichen, kurz Glut und Leidenschaft, die sich in brachialen Mordtaten entlädt.«
»Aber, Miss Sophie, ist das nicht eine Nuance übertrieben?«
Kapitän Smith blickte sie flehend an. Etwas Liebeskrankes war in seinem Blick. Und warum nannte er sie jetzt wieder Miss Sophie statt Sophie-Täubchen? Wozu dieses Versteckspiel? Was hatten sie zu verbergen?
James widmete sich den Filets Mignon Lili.
Kapitän Edward J. Smith faltete seine Serviette neu zusammen. Kein Zweifel, der Mann war nervös. Theatralisch hob Miss Sophie die Arme.
»Lachen, Tränen, Vorhang.«
Bei »Vorhang« klatschte sie in die Hände und schloss die Augen. Sie neigte leicht den Kopf, geradeso wie eine Schauspielerin, die sich beim Publikum für den Applaus bedankt.
»Eine Verkettung tragischer Umstände«, sagte Dr. Breastsucker. »Aber es wird wohl niemandem gelingen, zur Gänze in die Untiefen der menschlichen Seele zu leuchten.«
»Sicherlich sowieso kein schöner Anblick«, warf der Kapitän ein.
Miss Sophie nickte: »Auch unser geistreicher Mr. Smooth Gentle zeichnete sich in seiner letzten Minute durch eine nicht zu leugnende Uneleganz aus. Meinen Sie nicht auch?«
»Nun, es deutet alles auf eine sexuelle Praktik, die ...«
»Dr. Breastsucker, wir sind beim Essen!«
»Bitte, verzeihen Sie, Miss Sophie.«
James blickte suchend durch den Saal. Gab es denn niemand, der hier einschritt und diesem vergifteten Gerede ein Ende machte?
Die Gäste im Saal hatten sich in Schale geworfen. Die Frauen trugen in der Mehrzahl Satin- oder Seidenroben. Überall glitzerten Brillanten. Die meisten Herren geleiteten ihre Tischdamen im Frack an die mit blassroten Rosen und weißen Gänseblümchen dekorierten Arrangements. Die Ober nebenan servierten gerade die ägyptischen Wachteln.
Auch dieser Junge aus der Hafenspelunke saß inmitten einer vornehmen Tischgesellschaft. Die rothaarige junge Dame machte ihm schöne Augen, ihr Busen bebte. Ihr Tischnachbar allerdings schien, seinen missfallenden Blicken nach, damit gar nicht einverstanden zu sein. Auch die übrige Gesellschaft machte durch ihre Haltung deutlich, dass der junge Mann dort nichts zu suchen hatte.
Dem ging es so wie ihm. Wie kam dieser abgerissene Junge an diesen feinen Zwirn? Und wie in den Speisesaal der ersten Klasse? War er vielleicht ein ...?
James wischte sich den Schweiß von der Stirn. Diese Geheimagenten verstanden ihr Handwerk. Womöglich nur Tarnung, um Miss Sophie und die bizarre Gesellschaft, die sie um sich geschart hatte, besser im Auge behalten zu können.
Vielleicht hatten sich einige der Agenten aber auch als Musiker verkleidet. Spielten sie deshalb immer die gleichen Stücke? James glaubte, eine Puccini-Melodie her-auszuhören.
»Oh, Mr. Finch-Meyers und Miss Sterlingtree!«
Miss Sophies Stimme war unnatürlich hell.
»Wie schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben und uns helfen, den bedauerlichen Verlust in unserer kleinen illustren Runde aufzufüllen. Ist es nicht schrecklich, was Mr.Smooth Gentle zugestoßen ist?«
»Sagen Sie, Miss Sophie, woher wussten Sie, dass Mr. Smooth Gentle eine, wie Sie sagen, illustre Person war?«
»Aber Mr. Finch-Meyers, wie ...«
Der Kapitän schlug mit einer Gabel gegen sein Sherryglas.
»Meine Damen und Herren,
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