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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Koglin
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den Fingerkuppen strich er über den Rand der Pfanne. Unter ihm stampfte die Maschine ihren eintönigen Rhythmus. Nie und nimmer hätte er sich diesem Smooth Gentle anvertrauen dürfen. Seine edelsten Gefühle hatte er ihm gestanden. Und er war es gewesen, der ihm angeboten hatte, mit einem wohlformulierten Liebesbrief Miss Sophie auf das für sie schlagende Herz ganz in ihrer Nähe aufmerksam zumachen. Anonym selbstverständlich. Und dann das.
    James griff zur Teekanne, in die er sich einen halben Liter Whisky gefüllt hatte. Nach all der Bedienerei und der Aufregung brauchte er einen Beruhigungsschluck. Ja, wie sollte man sich auf einen Mann verlassen, der eigentlich gar nicht mehr am Leben war, sondern unter einem französischen Grabstein lag? Einer, der wegen Homophilie im Zuchthaus gesessen hatte und sein Geld damit verdiente, in Salons herumzuschawenzeln und unsinniges Geschwätz abzusondern.
    Er hatte den vergilbten Zeitungsartikel Wort für Wort studiert. Der Mann war längst tot. Konnte man für so etwas belangt werden? Und wer hatte das Abführmittel mit dem Opium vertauscht?
    Wenn er es genau bedachte: Eigentlich hatte er diesen Smooth Gentle gemocht. Höchst eigenwillig war er gewesen, gewiss, aber zumindest kein Langweiler. Geistreich und witzig, der Mann. Gegen den Strich gebürstet. Und dann dieses Ende. Schade.
     
    * * *
     
    Der Tiger saß aufrecht auf seinem Fressnapf. So, als sitze er auf einer Art Nachttopf. Aus seinem Maul hing das Stück einer Hose, die, dem auffällig karierten Muster nach, vor ein paar Stunden noch die Beine von Oscar Smooth Gentle bedeckt hatte. Finch-Meyers konnte genau erkennen, das s  der Tiger schielte. Vielleicht sogar grinste? Das Tier ruderte mit den Pranken in der Luft, als würde er ein Orchester dirigieren. Stolz blickte er um sich und steigerte sein Wimmern zu einem jaulenden Gesang. Mit einem heftigen Rülpsen fiel er auf die Seite, wippend drückte er sich hoch und krachte gegen die Gitterstäbe. Wieder stimmte er sein Jaulen an.
    Kapitän Smith rüttelte an den Gitterstäben.
    »Verdammte Sauerei. Voll wie tausend Russen. Riechen sie den Alkohol, meine Herren und, äh, Damen?«
    Finch-Meyers sog geräuschvoll Luft durch die Nase und schüttelte den Kopf.
    »Nichts, Sir.«
    »Ich bin der Kapitän dieses Schiffes. Und ich will, dass das aufhört. Verdammt noch mal, das soll aufhören. Sofort.«
     
    * * *
     
    Finch-Meyers musterte Patsymoon Sterlingtree. Seit ihrer ersten Begegnung hatte sie sich verändert. Es war deutlich zu merken. Sie trug zwar immer noch diese Kleider, in denen sie den Eindruck machte, als hätte sich ein Elefant in einem Zirkuszelt verlaufen, doch sie lackierte ihre Fingernägel, und auch um die Nase herum entdeckte er Puder. Ihre Augen glänzten, und wenn er sich nicht täuschte, trug sie neuerdings eine kleine Kette um den Hals. Mit einem Herzen. Die Frau begann zu leuchten. In seiner Kabine hing ein leichter Duft nach Moschus.
    »Wollen mal sehen, was wir haben«, sagte er.
    »Eine Leiche, Sir.«
    »Das will ich meinen. Und in eindeutiger Lage.«
    »Ein Sexualdelikt«, sagte Patsymoon Sterlingtree.
    »Möglich, aber ich glaube, wir werden da auf eine falsche Fährte gesetzt. Dieser Anarchist will uns das glauben machen.«
    »Sie halten diesen Andrej Balgakov für den Mörder?«
    »Ja und nein.«
    Patsymoon Sterlingtree hing an seinen Lippen. Ihr Mund war leicht geöffnet.
    »Ja und nein«, wiederholte sie und nickte. Wie klug er war.
    »Ich habe da zweideutige Briefe in der Kabine von Mr.Smooth Gentle entdeckt. Es könnte sich also durchaus auch um eine Beziehungstat handeln.«
    »Verschmähte Liebe?«, hauchte Miss Sterlingtree. »Er ist in den Anarchisten verliebt, zieht sich die Hose herunter, es kommt zum Handgemenge.«
    »Unter mangelnder Fantasie leiden Sie nicht, Miss Sterlingtree. Fest steht, dieser Anarchist hatte ganz ohne Zweifel Unterstützung. Jemand ganz Unscheinbares.«
    »Einer, auf den unser Verdacht nie fallen würde?«
    »Ein Phantom«, sagte Jessup Finch-Meyers und zwirbelte ein Nasenhaar.
    »Aber, warum musste Mr. Smooth Gentle sterben?«
    »Nun, die Beziehungstat ist das eine, und zusätzlich unterschrieb er sein Todesurteil, weil er im Begriff war, etwas auszuplaudern. Vielleicht das Versteck dieses Russen oder seinen Plan?«
    »Plan?«
    »Anarchisten haben immer einen Plan. Das macht sie ja gerade zu Anarchisten. Sind mit nichts zufrieden, diese Leute.«
    »Sie machen einen Plan und ...«
    »Also, Miss

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