Dinner for One auf der Titanic
sollte sie unter diesen halb nackten Männern Fürst Andrej Balgakov finden?
Das Stampfen der Schiffsmaschinen dröhnte in ihren Ohren. Die Luft schmeckte nach Asche, ihre Zunge fühlte sich pelzig an.
»Alle Kessel mit ausreichend Druck?«, fragte ein Mann, der im Unterschied zu den anderen ein Hemd trug.
»Aye, Sir.«
»Verdammte Schinderei, weiß gar nicht, warum der Alte plötzlich nach Amerika fliegen will. Hey, Lady, was machen Sie hier unten?«
»Ich, Sir?«
»Ja, Prinzessin, Sie haben sich verlaufen. Oder wollen Sie sich mit Kohlestaub die Nase pudern?«
»Ich suche einen Freund.«
»Wer soll das sein?«
Die sie umstehenden Männer hoben stumm ihre rechte Hand.
»Ein Mann mit langen Haaren und in Lederjacke, mit großen Stiefeln und ...«
Der Vorarbeiter zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Hier unten sehen alle nach kurzer Zeit gleich aus.«
»Vielleicht gibt es einen Platz, an dem er sich versteckt haben könnte?«
»Was um Himmels willen haben Sie getan, dass er sich ausgerechnet hier verstecken würde?«
»Vielleicht ein Heiratsantrag?«, sagte einer der Heizer.
Einige Männer, die auf ihre Schaufeln gestützt neugierig die Szene beobachteten, lachten brüllend auf. Patsymoon Sterlingtree deutete auf den Eingang zum Kohlenbunker.
»Da drin vielleicht?«
»Suchen Sie einen Mann oder einen Maulwurf?«
Der Vorarbeiter bedeutete ihr, ihm zu folgen. Vor einem der Kessel machte er Halt. Mit seiner Schaufel löste er den Riegel und drückte die Tür auf.
Die Hitze raubte ihr fast die Luft zum Atmen, brachte ihr Gesicht zum Glühen. Sie roch versengte Haare.
»Vielleicht hat er sich da versteckt, aber dann wird es nichts mehr mit der Heirat. Vielleicht könnten Sie ein wenig Zeit für mich erübrigen?«
Direkt neben der Ofenklappe entdeckte sie eine eiserne Bank, auf der die Schaufeln mit Eisenhämmern notdürftig ausgebessert wurden. Mitten aus einem Haufen ölverschmierter Lappen ragte ein Paar Stiefel. Sie erkannte sie sofort.
* * *
»Und zu meiner Geburtstagsfeier hätte ich gern ein dezentes Blumenarrangement für mein lindgrünes Satinkleid.«
»Sehr wohl, Miss Sophie.
«Wo sollte er denn das nun wieder herbekommen? War er der liebe Gott? In diesem bordeigenen Gewächshaus standen sicher nur halb verwelkte Lilien.
Miss Sophie hatte den Schrankkoffer offen gelassen. Die Schublade, in der sie ihre Unterwäsche verstaute, war halb herausgezogen. Sicher kein Zufall. Miss Sophie überließ nichts dem Zufall. Erwartete sie vielleicht diesen dem Spiel seiner Triebe willenlos ausgelieferten Kapitän? Sie glaubte ja immer noch, dass sie als erste an dieses ominöse Bild im Tigerkäfig herankam. Deshalb kümmerte sie sich auch so mütterlich um dieses Ungeheuer.
Notfalls würde sie sicher den New Yorker Hafenarbeitern ein paar Geldscheine zustecken und mit ihrer Hilfe das Bild aus dem Käfig fischen. Mylady durfte man nicht unterschätzen. Wer wusste schon, welche Trümpfe sie noch aus dem Ärmel zog?
Miss Sophie war im Ankleidezimmer beschäftigt. James ließ sich auf einen Sessel fallen und streckte die Füße aus. Bei all dieser Ackerei hätte er ja gleich als Matrose anheuern können. Allein diese nicht enden wollenden Schwierigkeiten.
Warum ließ man ihn nicht in aller Ruhe seine Arbeit machen? Und dann dieser Möchtegern-Anarchist. Keiner weinte dem eine Träne nach. Der Mann hatte sein Schicksal selbst heraufbeschworen. Die Titanic zurück auf Kurs nach England zwingen! Nur, weil er verliebt war. Da konnte ja jeder kommen. Einmal Brasilien bitte und vorher noch einen Abstecher nach Sansibar. So etwas ging doch nicht.
Fahrpläne mussten eingehalten werden. Der Bus nach Oxford fuhr ja auch nicht auf einen Abstecher zum Tower.
Eigentlich konnte ihm die White Star Line dankbar sein, dass er geholfen hatte, dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Dabei wusste er noch immer nicht mit absoluter Sicherheit, wer in diesem für Fürst Balgakov entscheidenden Moment, der über Leben und Tod entschied, die Kartoffelschälmaschine in Gang gesetzt hatte. Unzweifelhaft hatte es in der Küche nach Lavendel geduftet. Und Lavendel ...
Und dann dieser Smooth Gentle. Er selbst hatte den Geheimdetektiv und seine unbedarfte Assistentin erst darauf bringen müssen, um was für einen windigen Burschen es sich da handelte.
Außerdem konnte man ihn für diese tragischen Ereignisse nicht verantwortlich machen. Der Mann war längst tot. Das musste selbst dieser Finch-Meyers einsehen. Doch
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