Dinner mit Rose
erschöpft darüber. »Du bist keinen Moment zu früh gekommen.«
»Sieht ganz so aus. Meinen Glückwunsch.«
»Danke. So, hier ist das Behandlungszimmer – alles läuft über Computer. Amber ist dabei, die gesamten Patientenakten in das System einzugeben. Wenn sie so weitermacht, dürfte sie innerhalb der nächsten fünf Jahre damit fertig werden.« Mit gedämpfter Stimme fügte sie hinzu: »Dir ist sicher nicht entgangen, dass sie nicht gerade eine Intelligenzbestie ist.«
Ich lächelte. »Verstehe. Also dient sie hauptsächlich zu Dekorationszwecken.«
Zu meiner Überraschung schüttelte Cheryl den ordentlich frisierten kastanienbraunen Kopf. »Keineswegs. Mir ist noch nie jemand begegnet, der den Leuten so gut das Geld aus der Tasche ziehen kann wie Amber. Du weißt ja, dass sie die Gesetze zur Unfallversicherung verschärft haben?«
»Hast du sehr darunter zu leiden?«, fragte ich zurück. Das alte System der ›Accident Compensation Corporation‹ war erschreckend leicht auszunutzen und ehrlich gesagt längst reif für eine Reform gewesen, doch die drastischen Kürzungen der Zuschüsse für Physiotherapien hatten die Privatpraxen hart getroffen. Es ist erstaunlich, wie wenig Behandlungen die Leute auf einmal brauchen, wenn sie selbst dafür aufkommen müssen.
»Es geht«, entgegnete sie. »Kurz vor der Einführung des neuen Systems wollte ich expandieren und noch jemanden einstellen, habe es dann aber gelassen, daher haben wir im Moment bergeweise Arbeit. So, was wäre da noch? Stützbandagen und solche Sachen sind in diesem Schrank – ich muss ganze Horden von Schafscherern mit Rückenproblemen behandeln. Hypochonder und die Leute, die einfach nur herkommen, weil sie einsam sind und Unterhaltung suchen, haben einen roten Punkt in ihrer Akte, aber Amber kann dir auch so sagen, wer sie sind. Notgeile Typen haben wir zurzeit nicht, glaube ich – du weißt schon, die Kerle, die dir erzählen, sie hätten sich wohl einen Muskel in der Leistengegend gezerrt, und auf eine Massage hoffen.«
»Im Krankenhaus hat man mit denen kaum zu tun«, bemerkte ich. »Während der letzten eineinhalb Jahre habe ich hauptsächlich Rehamaßnahmen mit Schlaganfallpatienten durchgeführt.«
»An alles andere erinnerst du dich bestimmt schnell wieder, da bin ich mir ganz sicher«, beruhigte mich Cheryl. »Du schaffst das schon.«
Ich war amüsiert über ihre tröstlichen Worte, gleichzeitig lösten sie in mir aber auch leisen Ärger aus. Ich bin gut in meinem Job und arbeite hart daran, noch besser zu werden. Und ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich in unserem dritten Universitätsjahr einmal eine gesamte Nacht damit zugebracht habe, Cheryl vor einem Examen am nächsten Tag auf die Schnelle noch ein paar anatomische Grundkenntnisse einzupauken. »Danke«, erwiderte ich verstimmt.
»Hast du schon eine Bleibe gefunden?«
»Noch nicht. Vorerst wohne ich bei Rose Thornton.«
»Die neue Buchhalterin von Horne and Plunkett’s sucht eine Mitbewohnerin«, sagte Cheryl. »Wenn du Interesse hast, kann ich ihr deine Nummer geben.«
Ich rümpfte skeptisch die Nase. »Ich dachte eher an ein kleines Häuschen auf dem Land; ich weiß nicht, ob ich Lust habe, in eine Wohngemeinschaft zu ziehen.«
»Josie, Schatz, du kannst doch nicht deinen Verlobten verlassen und …«
»Er war nicht mein Verlobter«, stellte ich richtig.
»Aber so gut wie«, beharrte Cheryl ungeduldig. »Auf jeden Fall kannst du nicht von einer Großstadt wie Melbourne in das hinterwäldlerische Waimanu ziehen und dich mutterseelenallein in irgendeinem Haus im Nirgendwo vergraben. Du würdest durchdrehen und dir die Pulsadern aufschneiden.«
Als ich um die Hausecke bog und dabei eine Seite des Rasenmähers anhob, damit er nicht den Blumen am Rand des Beetes die Köpfe abrasierte, tauchte Rose an der Hintertür auf und fuchtelte wild mit den Armen. Ich schaltete den Motor aus, und sie rief fröhlich: »Josephine! Telefon!«
»Hallo?«, keuchte ich atemlos, nahm das schnurlose Telefon und lehnte mich gegen das Verandageländer. Roses Rasen fiel zu allen Seiten steil vom Haus ab, und ihn zu mähen bedeutete vor allem, das schwere Gerät mühsam hangaufwärts und über die Wurzeln von Obstbäumen zu schieben.
»Hallo?«, erklang eine Frauenstimme, die mich an einen zwitschernden Spatz erinnerte. »Ich bin Sara Rogers. Cheryl hat mich gestern angerufen und gesagt, dass du vielleicht ein Zimmer suchst.«
»Das stimmt«, antwortete ich.
»Nun, Andy und
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