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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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ein paar Männer anwesend, die dabei helfen konnten – meiner zum Beispiel.«
    »Ja, ich habe gehört, dass Herr Schapran schon seit einiger Zeit keine Arbeit mehr hat.« Elias hielt sich an der Fensterbank fest. »Ich bin erstaunt, dass er sich noch nicht bei einem der Freiwilligenkommandos gemeldet hat.«
    »Er ist verpflichtet, so lange wie möglich bei uns zu bleiben. Er wurde zum Aufseher dieses Gebäudes gewählt.«
    »Oh.« Elias hatte genug von dem Streit. »Das war mir nicht bewusst. Ich –«
    »Sie Künstlerleutchen in Ihrem Wolkenkuckucksheim.« Olga schien ein wenig besänftigt. »Sie können von Glück sagen, dass Sie praktisch veranlagte Nachbarn haben. Wenn es erst mit dem echten Fliegeralarm losgeht, werden Sie uns noch mehr als dankbar sein. Also, wo ist der Koffer Ihrer Mutter?«
    »Nein!« Frau Eliasberg fing an mit dem Kopf gegen die Stuhllehne zu schlagen. »Ich gehe nicht. Ich – gehe – nicht.« Die Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben, und sie klammerte sich so fest an den Stuhl, dass sich ihre Knöchel weiß unter ihrer Haut abzeichneten.
    »O doch, das werden Sie!« Olgas Zorn kehrte zurück. »Sie sind ein weiteres hungriges Maul, das gestopft werden, ein weiterer nutzloser Körper, der in den Luftschutzkeller geschleppt werden muss!« Sie eilte durch den Raum und packte Frau Eliasberg an den Fußgelenken. »Sehen Sie, Sie können sich ja nicht mal selbst bewegen! Sie sind eine Belastung!«
    »Jetzt reicht es!« Elias stieß sich von der Fensterbank ab. »Wie können Sie es wagen, meine Mutter so anzufassen!« Er packte Olga an den Haaren und schleuderte sie herum, sodass sie gegen den Tisch taumelte. Das Glas mit seinen Taktstöcken fiel krachend zu Boden. »Sie geht nicht. Sie bleibt hier bei mir. Ich bin für sie verantwortlich. Wenn wir es mit häufigem Fliegeralarm zu tun bekommen – wohlgemerkt: wenn , denn noch wissen wir nicht, was die Deutschen vorhaben –, dann trage ich sie in den Keller. Und wenn ich nicht hier bin, macht das Herr Schapran. Ist das klar?«
    Olgas rötliches Gesicht wurde blass, ihre Sommersprossen traten hervor wie Krümel auf einem weißen Tischtuch. Sie nickte, sagte aber nichts.
    »Was für eine Szene.« Elias blickte auf seine nackten knochigen Fußgelenke und dann, schuldbewusst,auf die paar Haare in seiner Hand, die er Olga ausgerissen hatte. »Im Krieg mit Barbaren werden wir selbst zu welchen. Ich muss Sie um Verzeihung bitten.«
    Olga scharrte zwischen den Taktstöcken und Scherben mit den Füßen. »Können Sie damit noch dirigieren?«, fragte sie barsch.
    »Die Musiker werden es gar nicht bemerken, und wenn, dann ist es ihnen egal. Sie tun ohnehin selten, was ich sage, selbst wenn sie mit Taktstöcken von normaler Länge befehligt werden.«
    In einem Winkel von Olgas Forellenmaul zuckte ein Lächeln.
    »Wir sind immer noch Nachbarn, nicht wahr?«, sagte Elias. »Egal, was die nächsten Monate bringen. Wir sind immer noch menschliche Wesen und keine Belastungen oder Statistiken. Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich muss zur Arbeit.«
    Beschützerisch blieb er neben seiner Mutter stehen, bis Olga gegangen war, und trat dann selbst in den Hausflur. Er stieg die drei schmalen Treppen zur blau bemalten Tür hinauf und klopfte an die Holzverkleidung. Glücklicherweise war niemand drin. Nachdem er die Tür hinter sich verriegelt hatte, kniete er sich auf den Boden, steckte den Kopf in die Kloschüssel und kotzte sich die Seele aus dem Leib.
Die Bitte
    Schostakowitsch gingen die Papiervorräte aus. An drei aufeinanderfolgenden Tagen hatte er, wenn er sich frühmorgens zur Bolschaja-Puschkarskaja-Straße schleppte, einen Umweg über den Komponistenverband gemacht. An allen drei Tagen war er dort auf ausdruckslose Mienen und leere Hände getroffen. Alles ging zur Neige. In den Schaufenstern der Lebensmittelläden tauchten sogardie absurden alten Gipsrepliken wieder auf, und die Brotrationen waren erneut gekürzt worden.
    »Aber warum haben Sie kein Notenpapier mehr?« Er fuhr sich mit den Händen durchs Haar. »Gerade jetzt? Wo Prokofjew gar nicht mehr in Leningrad ist, der sonst alles an sich gerissen hat.«
    Der Verbandsangestellte lachte verunsichert.
    »Das war kein Witz«, sagte Schostakowitsch mürrisch. Ihn plagte die wachsende und keineswegs unbegründete Angst, bald ganz und gar am Weiterarbeiten gehindert zu werden. Von den militärischen Entwicklungen, da die entscheidende Schlacht in Mga unausgesetzt tobte und die deutschen

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