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Dirigent

Dirigent

Titel: Dirigent Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Quigley
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beabsichtigst.«
    Schostakowitsch schwankte ein wenig. »Ich muss mich setzen.« Er gab Mrawinski einen kleinen Schubs, doch der blieb ungerührt sitzen. »Sie hätten sich einen Stuhl besorgen sollen, bevor Sie sich über meine Unzulänglichkeiten auslassen«, sagte er.
    Elias holte einen weiteren Stuhl herbei und half Schostakowitsch, sich zu setzen. »Sagen Sie, was ist das, woran Sie gerade arbeiten? Es wäre eine Ehre für mich, mehr darüber zu erfahren.«
    Schostakowitsch verspürte ein leises Aufflackern von Panik. Zu intim, zu intim. Er trank einen Schluck Bier. »Da gibt es nichts zu erfahren. Ich kann nur annehmen, Sollertinski spielt auf mein letztes Meisterwerk an, das ich auf Befehl von oben komponiert habe – es heißt ›Das furchtlose Garderegiment auf dem Vormarsch‹.«
    Elias hob die Hände ans Gesicht, als hätte man ihn geohrfeigt. »Ich wollte nicht neugierig erscheinen.«
    Schostakowitsch lehnte sich zurück und blickte an die Decke. »Es ist ein Militärmarsch, mit dem die ehrenwerten Männer der Roten Armee motiviert werden sollen«, psalmodierte er, als leiere er einen langweiligen Vortrag vor einer gelangweilten Klasse herunter. »Wenn man ihn aus einiger Entfernung unter freiem Himmel hört, klingt er ganz passabel.«
    Sollertinski blickte zu Elias. »Wir brauchen Schmierstoff!«, rief er. »Bringen Sie uns Grog! Grog ist das einzige bekannte Mittel gegen letale Schweigsamkeit.«
    Schostakowitsch schloss die Augen. Hinter seinen Lidern tauchten als tiefrote Silhouette die Umrisse des Kronleuchters auf. Als er die Augen wieder öffnete, hatte Elias sich an den Rand des Podiums zurückgezogen; sein Nacken war puterrot. Schostakowitsch stöhnte. Warum hatte er nicht aufgehört zu trinken, sobald er merkte, dass sein Kampfgeist erwachte? Dennoch, er hatte getan, was nötig war, um sich aus der Affäre zu ziehen.
    Betroffen musterte er Elias’ stocksteifen Rücken. Nina hätte gewusst, wie man die Sache wieder geradebog, aber sie war schon zu Hause im Bett. »Fräulein Bronnikowa!«, wisperte er. »Tanzen Sie gern?«
    Nina Bronnikowa lachte. »Das sollte man meinen, schließlich habe ich das Tanzen zum Mittelpunkt meines Lebens gemacht.«
    »Ich habe mich unklar ausgedrückt.« Schostakowitsch konzentrierte sich auf ihre Nase, den einzigen Punkt im ganzen Raum, der sich nicht zu bewegen schien. »Ich meinte, ob Sie gern so tanzen wie die Leute hier.«
    »Sie sehen ein bisschen zu mitgenommen dafür aus«, sagte sie. »Außerdem frage ich mich, ob es sich ziemt, jetzt, wo Ihre Frau nicht mehr da ist.«
    »O nein, Sie sollen ja nicht mit mir tanzen. Wie Sie richtig bemerkt haben, kann ich kaum noch aufrecht stehen. Aber würden Sie vielleicht –« Er deutete auf Elias.
    »Mit Herrn Eliasberg? Muss er gerettet werden?«
    »Genau das.« Erleichtert lehnte Schostakowitsch sich zurück. »Er muss gerettet werden.«
    Was für ein Trottel Sollertinski war – in so einem Rahmen Details über seine Arbeit auszuposaunen, obwohl er fast nichts darüber wusste! Doch sobald er seinen Freund auf sich zu stolpern sah, konnte er nicht anders, als ihm zu verzeihen.
    »Jetzt spielst du also den Kuppler, was?« Sollertinski erwähnte das soeben Vorgefallene mit keinem Wort, sondern reichte ihm einfach als Friedensangebot einen mit Kaviar beladenen Teller. Gemeinsam beobachteten sie, wie Elias Nina Bronnikowa ein wenig steif den Arm bot und sie näher zum Orchester führte.
    »Besser ein Kuppler als jemand, der tief ins Fettnäpfchen tritt.« Schostakowitsch schnupperte am Kaviar, doch das metallische Aroma roch für ihn nicht mehr nach Luxus; es erinnerte ihn nur an den verbogenen Spaten, mit dem er an diesem Tag auf den trockenen Boden eingehackt hatte. »Im Übrigen habe ich die Wahrheit gesagt. Ich arbeite wirklich an militärischer Musik ebenso wie an meinem eigenen Marsch, und diese Kombination macht mich wahnsinnig.«
    »Es ist nicht das Komponieren für offizielle Zwecke, das dich bedrückt.« Sollertinski legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Das musstest du ja schon immer machen, dank des – wie soll ich sagen? – philanthropischen Regimes, unter dem wir gedeihen. Wenn du mich fragst, bereitet es dir weit mehr Sorgen, dass du nächste Woche um diese Zeit womöglich vom Dach des Konservatoriums aus nach Brandstiftern Ausschau halten musst.«
    »Immer noch besser als Gräben schaufeln.« Schostakowitsch drehte seine Handflächen nach oben, um ihm die offenen Wunden zu zeigen. »Ich bin es leid, im

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