Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
Er würde einen überzeugenden Bestatter abgeben, dachte Danielle oft.
Aber an diesem Morgen war er aufgekratzt. Sie vermutete, dass es zu gleichen Teilen der Aufregung und der Erwartung zuzuschreiben war. So verhielt er sich jedes Mal, wenn er mit Joe die Kunden in der Umgebung abklapperte. Eingebildete Probleme wühlten ihn auf, die Gewissheit, noch reicher zu werden, wurde zur Sprungfeder für seinen Gang, und all diese Gefühlsregungen versetzten ihn in fiebrige Hochstimmung. Andauernd stand er hinter ihr und sie spürte den Druck seiner Schulter, wenn sie ebenfalls stand, seinen massigen Schenkel, wenn sie saß. Jetzt, in diesem Augenblick, während sie Ringe und Halsketten aus dem Safe holte, um sie in den Schaukästen zu arrangieren, scharwenzelte er in den beengten Gegebenheiten des Ladens um sie herum, streifte mit seinem Unterleib ihre Hüften und ihr Hinterteil. »Verzeihung«, murmelte er.
Als Danielle sich nach vorn beugte, um einen viertausend Dollar teuren Diamantring unter die Glasplatte des Tresens zu legen, spürte sie Furneaux’ Halberektion an ihrer Hüfte. Ansonsten war es ein wunderschöner Tag, sonnig, ein angenehmer Frühlingsmorgen. Natürlich gab es jede Menge stockenden Verkehr, wie immer um diese Tageszeit, dazu Kinder in Schuluniformen, die über Bürgersteige rannten und Haltestellen unsicher machten, aber die Kleinen wären bald verschwunden. Sie wich Henris Schwanz geschickt aus und verschwand durch eine Zwischentür in die Kaffeeküche. Sicher wollten die Kerle noch einen Kaffee, bevor sie aufbrachen.
Dieser unheimliche Franzose war dort, saß da wie hingehaucht auf einem der Plastikstühle. Völlig reglos. Danielle vermied es, dass ihre Blicke einander begegneten, spürte aber, wie seiner an ihr klebte. Normalerweise flog der Typ ein und wieder aus. Hing niemals hier ab. Als der Kaffee fertig war, ging sie zurück in den Verkaufsraum, zurück an ihre Arbeit. Der Franzose folgte ihr und bezog in einer schwach ausgeleuchteten Ecke Position.
Joe kam vom Hof herein. »Alles geritzt«, verkündete er. Seine Lippen waren trocken, gespitzt, seine Augen blutunterlaufen. Er trug Jeans, ein T-Shirt mit Aufdruck — WORAN IST DEIN LETZTER SKLAVE GESTORBEN? —, dazu Sportschuhe in grellem Lila, gelb und weiß abgesetzt. Und eine Sonnenbrille, die auf seinem rasierten Schädel thronte. Er wirkte nicht im Entferntesten wie ein Mann, der mit teurem Schmuck handelte.
Er wirkte wie ein Kraftfahrer. Henri sah zuerst auf seine Armbanduhr, dann zu Joe. »Brauchen wir noch Benzin?«
»Hab gestern getankt«, sagte Joe.
Danielle war noch immer dabei, die Auslagen zu ordnen. Sie war von beiden Seiten intensiven Gerüchen ausgesetzt: Henris ausdrucksstarker Körperlotion und Joes Schweiß, wobei Letzterer verschiedene Giftstoffe an die Luft abgab — vermutlich Alkohol und Amphetamine.
»Hast du dein Telefon dabei?«
»Jo«, sagte Joe.
»Voll aufgeladen?«
»Jo.«
»Kleidung zum Wechseln, Zahnbürste ... «
»Ich bin kein Kind, Henri«, sagte Joe Furneaux.
Danielle verzog keine Miene und füllte die Kasse mit Münzen und Banknoten, als Henri sagte: »Dann hätten wir wohl alles ... «
Er trat von einem Fuß auf den anderen.
Joe war völlig entspannt, vermutlich dank der Chemie. »Mach dich locker, Bruder.«
Henri schnippte mit den Fingern. »Schokoriegel? Mineralwasser? Ich will nicht, dass du mir am Steuer einschläfst.«
Joe zuckte mit den Achseln.
»Du brauchst Kalorien, Joe«, sagte Henri. »Danielle?«
Sie richtete sich auf und sah ihren Chef an. »Ja, Mr. Furneaux?«
»Der Kühlschrank in der Kaffeeküche. Schnappen Sie sich ein paar Energieriegel, ein paar Flaschen Mineralwasser und bringen Sie alles raus zum Audi.«
Wer bin ich eigentlich?, dachte Danielle. Ganz bestimmt nicht die Geschäftsführerin eines exklusiven Geschäfts an der High Street. Sie wusste, dass sie in einem bestimmten Licht ihrem Alter entsprechend aussah — nämlich wie fünfundzwanzig — und nicht das strahlendste Juwel im Laden war, aber sie hatte die Beine und Brüste einer Achtzehnjährigen und das hatte Henri Furneaux genügt, um sie einzustellen und einzuarbeiten. Was auch bedeutete, wie der letzte Dreck behandelt zu werden.
»Komm schon, Schönheit, leg einen Zahn zu.«
»Ja, Mr. Furneaux.«
Als sie auf den Hof kam, sah sie zwar Henris Mercedes-Cabrio und das offene Tor, aber nirgendwo den Audi. Zuerst vernahm sie ein Zischen, dann ein leises metallisches Wimmern und musste feststellen, dass
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