Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
Wyatt.
Eddie nickte. »Schlecht für eine Flucht in null Komma nichts.«
»Eine Flucht muss nicht Hals über Kopf vonstattengehen, wenn sie präzise und effizient abläuft«, sagte Wyatt. »Einfach verschwinden, darum geht es, doch das setzt eine sorgfältige Planung voraus.«
Eddie sah gelangweilt aus.
Wyatt sagte: »Lass uns ein Stück gehen.«
»Ich bin noch nicht fertig mit meinem Muffin«, maulte Eddie.
Er trug eine Lederjacke und darunter ein Hemd, das bis obenhin zugeknöpft war. Nachdem Wyatt aufgestanden war und hinunterblickte, entdeckte er in dem schmalen Spalt zwischen Eddies Hals und dem Hemdkragen eine leichte Verfärbung. Der Kerl hatte einen Knutschfleck.
Kein Kontakt, hatte Wyatt gesagt. »Lydia und du, ihr wohnt doch in verschiedenen Motels, oder?«
Eddie war verwirrt. »Ja, genau wie du gesagt hast.«
Wyatt ließ die Sache auf sich beruhen. Er marschierte hinaus und ging die Straße hinunter, entfernte sich aus der Nähe des Geschäftes der Furneaux’.
Eddie holte ihn ein. »Wohin gehen wir?«
»Mich interessiert die Situation parallel zur High Street. Ich will mir mal die kleineren Straßen ansehen.«
Er marschierte weiter und Oberin hatte Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Eddie war rank und schlank, aber nicht in Form. Außerdem gehörte er zu den Menschen, die das Ihre zur allgemeinen Geräuschkulisse aus Autohupen und Musikbeschallung, mobil geführten Telefongesprächen und unnütz hochgejazzten Motoren beitragen mussten: Er redete. Und von Zeit zu Zeit musste er niesen und das Ergebnis in seinem Taschentuch begutachten. »Das ist dir wahrscheinlich nicht bekannt«, sagte er zu Wyatt, »aber was die Qualität der Luft betrifft, ist Melbourne eine der schlimmsten Städte der Welt.«
Sie befanden sich jetzt parallel zur High Street und gingen wieder zurück. Wyatt hatte feststellen müssen, dass die Straßen eng waren und so richtig eng war es dort, wo Müllcontainer und Autos standen.
»Das liegt an den Pollen aus dem umliegenden Busch- und Weideland und dann herrscht nicht mal ein Wind, der den Mist aus den Fabrikschloten vertreibt.«
Wyatt ging nicht darauf ein. »Lass uns fahren.«
»Wohin?«
»Irgendwohin.«
***
Am Freitagmorgen bekam Wyatt den ersten Eindruck von den Hauptpersonen, als Lydia Stark und er zwei Männer beobachteten, die Furneaux Brothers verließen; der eine korpulent und verweichlicht, der andere hochgewachsen und distanziert. »Der Dicke ist Henri Furneaux, der andere Le Page«, sagte Lydia.
Wyatt schenkte Furneaux keine Beachtung, sondern konzentrierte sich auf Le Page, bemerkte den europäischen Stil von Anzug und Schuhen, die hagere Arroganz des Gesichts, die unmissverständliche Körpersprache eines Mannes, der eine Waffe verborgen hält. Doch mehr als alles andere fiel Wyatt der Gang auf. All seine Sinne traten sofort auf den Plan und er verfolgte, wie Le Page dem Juwelier zum Abschied zunickte und ohne Eile zu einem wartenden Taxi stolzierte, als sei alles in seinem Leben geregelt, als könne nichts und niemand ihn aufhalten. Wyatt registrierte noch andere Eigenschaften, wahrscheinlich weil er sie mit dem Mann gemein hatte: Nervenstärke, Effizienz und Selbstbeherrschung. Das Taxi fuhr vom Bordstein los und schlich Richtung City. Furneaux ging zurück in den Laden.
»Wohnt Le Page im Sofitel?«
»Ja.«
Wyatt brummte. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
»Was?«, fragte Lydia.
»Einen Park.«
»Sie haben sich in Parks umgesehen?«
Eine Antwort darauf war überflüssig. Im Wagen erkundigte sich Wyatt ganz sachlich, was Lydia an den Abenden mache. Sie reagierte verdutzt. »Nichts. Warum? Ich verhalte mich unauffällig, richtig?«
»Richtig.«
Das Wochenende zog ins Land. Das Trio trug weitere Informationen zusammen und stieß nirgendwo auf Tyler Gadd.
Am Montagmorgen ging Wyatt ein zweites Mal die Gasse hinter dem Juweliergeschäft ab und investierte im Anschluss sein letztes Geld in kugelsichere Westen, Latexhandschuhe, Sturmhauben, Mobiltelefone mit Prepaid-Karten und eine Pistole für Eddie. Er war Jahre fort gewesen, aber einige seiner alten Kontakte waren noch im Geschäft.
Am späten Nachmittag traf er sich mit den beiden anderen in Lydias Motel. Es war ein heruntergekommener, der prallen Sonne ausgesetzter Kasten in einer öden Straße nahe der Sydney Road, durch die der Wind pfiff; eine Straße voller Gegensätze, unübersehbar zu dieser Tageszeit: junge Muslimas, Studienunterlagen in den Händen, in Schwarz gekleidete
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