Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
sich gelassen hatte.
»Ich werde Sie erst sehen können, wenn Sie wirklich auftauchen«, gab Lydia zu bedenken. Das hatte sie auch am Freitag getan.
»Sie warten mit laufendem Motor«, erklärte Wyatt.
12
Dieser Tage bewachte Ma Gadd Tyler mit Argusaugen.
»Wo willst du hin?«, fragte sie, kaum dass er sich in den Lieferwagen setzte. Ganz offensichtlich glaubte sie nicht, dass ihr Neffe Wyatt in Ruhe ließ.
Also sagte er wahrheitsgemäß, dass er Blumen ausliefere, im K-Mart Plastikeimer kaufe, die armseligen Wichser abklappere, die ihr Geld schuldeten, und am Flughafen Tulpen abhole, von KLM, direkt aus Amsterdam. Dennoch stahl sich ein misstrauischer Ausdruck in ihr Puddinggesicht und sie kläffte: »Du kommst sofort wieder zurück, ist das klar?«
»Ja, ja.«
Jeden Tag ging das so, eine Woche lang.
In der zweiten Woche bekam Tyler seine Chance: eine Lieferung von Trauerkränzen in die Kapelle der Monash University am Dienstagvormittag, erledigt in Rekordzeit. Auf dem Rückweg legte er einen Stopp in Armadale ein und da er nirgendwo auch nur eine Spur von Wyatt, Oberin oder der Frau entdeckte, linste er durch das blitzblanke Schaufenster von Furneaux Brothers Fine Jewellery. Eine Menge Glastresen, rotierende Vitrinen, viel Samt und wenig Helligkeit. Er ging hinein.
Die Süße hinter dem Verkaufstisch musterte ihn von oben bis unten, als wolle sie zuerst seinen Dollarwert einschätzen und dann seinen Schwanz messen. Hübsche Titten.
Sie klimperte mit den Augen und trat hinter einen der Glastresen. »Kann ich Ihnen helfen?«
Tyler lächelte und entschlüsselte ihre Körpersprache. Der Tresen war für sie eine Art Barriere. Aber — ganz großes Aber — man konnte hindurchsehen, also blockte sie ihn, Tyler, nicht völlig ab. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sagte etwas unbeherrscht und mit dem Anflug eines Knurrens: »Schau mich nur mal um.«
Die Hände hinter dem Rücken, schlenderte er an den Glastresen vorbei, richtete sein Augenmerk vor allem auf die Diamanten. Vielleicht ein wenig Neid schüren nach dem Motto, dieser coole Typ hier kauft leider nichts für mich. Gleichzeitig checkte er den Laden in Hinblick auf Kameras, Alarmanlagen, Türen und Fenster.
»Irgendetwas gefunden, was Ihnen zusagen könnte?«
Er richtete sich auf und starrte auf ihr Namensschild und in ihren Ausschnitt.
»Danielle. Hübscher Name.«
»Vielen Dank.«
»Kann ich vielleicht die Auslage mit den Ringen sehen? Sind das Verlobungsringe?«
»Sie sagen es, mein Herr.« Sie beugte sich anmutig nach vorn — noch mehr Titten —, langte in den Tresen und stellte die Ablage auf die Glasfläche. »Der Herr hat einen guten Blick.«
Plastiklächeln, Plastikstimme. Tyler spürte die Wut in sich hochsteigen, er lehnte sich nach vorn und deutete an ihrer Hüfte vorbei auf den Boden. »Was ist denn das? Ist Ihnen vielleicht etwas heruntergefallen?«
Ohne ihren Gesichtsausdruck oder ihre Haltung zu verändern, schnauzte sie: »Was soll das werden? Ein Auslagendiebstahl? Zischen Sie ab, Sie Depp.«
Und dann war da eine Stimme in Tylers Ohr: »Du hast doch die junge Dame gehört.«
Tyler drehte sich auf dem Absatz um. Der Typ sprach mit Akzent, dazu die knochige europäische Erscheinung, eine Hakennase, wie aus Granit gemeißelt, man spürte förmlich, was für eine geballte Bedrohung von diesem Kerl ausging. Hatte wohl die ganze Zeit im Verkaufsraum gelauert, irgendwo im Hintergrund. Tyler schluckte. »Bin ja schon weg.«
Er wollte zur Tür, als lange, trockene Finger ihn am Genick und an den Kiefergelenken packten, und dann verlor er das Bewusstsein, wachte irgendwann benommen und mit schrecklichen Schmerzen wieder auf. Er lag auf dem Boden. Das Skelett musste einen Druckpunkt erwischt haben. Wie lange war ich eigentlich weg?, schoss es Tyler durch den Kopf.
Und die Süße lächelte.
13
Furneaux Brothers Fine Jewellery, Mittwochmorgen, acht Uhr dreißig. Die junge Geschäftsführerin sann über ihren Chef nach.
Durchtrieben und schmierig, so lauteten die Adjektive, die Danielle für gewöhnlich in den Kopf kamen. Henri Furneaux’ Gesicht war düster, seine feisten Wangen dunkel und akkurat rasiert. Die Augen dunkel genau wie die Brauen, dazu hängende Mundwinkel. Dunkle Unterarme und behaarte Fingerknöchel. Stets im schwarzen Anzug und mit dunkler Krawatte. Sein Benehmen gegenüber den reichen, nichtsnutzigen Frauen, die ihren Schmuck bei ihm kauften, zeichnete sich durch getragene Zuvorkommenheit aus.
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