Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
hier war North Melbourne und das Grundstück somit ein Vermögen wert. Doch wie er Wyatt erzählt hatte, spielte Eddie nicht mal mit dem Gedanken zu verkaufen. »Ich würde das Geld doch nur verspielen oder zum Fenster rauswerfen«, hatte er gesagt. »Außerdem liebe ich die Bude.«
Liebte er sie genug, um nach dem heutigen Fiasko zurückzukehren? Wyatt war auf dem Weg zum anderen Ende der Straße, umgeben vom Sonnenlicht des frühen Nachmittags, das strahlend auf dem Asphalt lag, auf den parkenden Autos und seelenlosen Vorgärten. Die Besitzer dieser Gärten waren bei der Arbeit, zumeist junge Fachleute mit hohen Einkommen und noch höheren Hypotheken, verliebt in die Vorstellung von einem Leben in den citynahen Vororten, in direkter Nachbarschaft zur Universität, die während des Studiums für eine Abkapselung dieser Leute gesorgt und eine von Bangigkeit getragene Abneigung gegenüber Entfernungen in ihnen erzeugt hatte. Mit lukrativen Jobangeboten irgendwohin gelockt, kämen sie stets zurück in ihre von Architekten entworfenen Kästen in der Nähe der Studentenwohnheime, wo sie einst ihre Jungfräulichkeit verloren oder zum ersten Male gekifft hatten. In Wyatts Augen machte sie das zu völlig durchschnittlichen Menschen. Ängstliche Vorbehalte gegenüber dem Umherstreunen, der Instinkt der Herde.
Er hatte das Ende der Straße erreicht, machte jetzt kehrt und richtete auf dem Rückweg sein Augenmerk unauffällig auf jeden einzelnen Wagen in der Ansammlung von Rostlauben der Studenten, Achtzigerjahre-Holden-Limousinen alter Knacker, Saabs, Golfs, Subarus und einem Hertz-Mietwagen Marke Ford. Von keinem stieg Motorenwärme auf. Nirgendwo jemand hinter dem Steuer, der vorgab, Zeitung zu lesen oder zu telefonieren. Zwei junge Frauen mit Kinderwagen kamen um die Ecke, eine von ihnen mit einem Kleinkind, das sich in ihre Jeans krallte. Sie verschwanden in einem Haus in der Mitte der Straße. Einen halben Block entfernt von der Kreuzung errichteten zwei Männer ein neues Dach und das offenkundig bereits seit Tagen. Auf einer Veranda saß ein altes Ehepaar hinter einem Vorhang aus Weinranken und Kletterpflanzen. Und das war’s.
Le Page sah den Mann, der mit großen Schritten die Straße hoch- und wieder hinunterging. Das Klemmbrett war überzeugend, nicht aber das verstohlene Überprüfen jedes einzelnen Wagens, und kein normaler Mensch mit Klemmbrett verhielt sich bei genauerem Hinsehen derart rätselhaft, derart auffällig unauffällig. Le Page war sofort alarmiert und schoss ein paar Fotos. Die Frau betrat das Zimmer. »Kaffee oder Tee, Sir? Haben Sie Hunger?«, fragte sie.
Er beachtete sie nicht. Der Fremde unternahm einen weiteren Gang die Straße hinunter.
»Sir?«
»Verschwinden Sie.«
***
Wyatt drehte kurz den Kopf, erhaschte einen Blick auf die rechte Seite von Eddies Haus, ging dann weiter an der Vorderfront entlang und warf einen kurzen Blick auf die linke Seite. Die Bude sah verlassen aus. Je eine Hecke rechts und links schirmten sie von den Nachbarhäusern ab, ein Siebzigerjahre-Bau aus hellem Klinker das eine, das andere ein neues, hellgraues Etwas, das aussah wie aufeinandergestapelte Würfel aus gewelltem Eisen, eines von der Art, wo »sein« und »ihr« Peugeot in der Auffahrt standen. Wyatt ging weiter bis ans Ende der Straße und wieder zurück.
Kurz danach verließ das alte Ehepaar seine Veranda und verschwand im Haus. Wyatt öffnete das Tor zu Eddies Vorgarten, schloss es hinter sich und stieg die Stufen zur Eingangstür hinauf.
***
Le Page beobachtete den Mann, der, so wie zuvor Danielle an die weiße Tür klopfte. Er versuchte sich eine Vorstellung über beider Motiv zu machen: Sie sind aufgetaucht, um die Beute zu teilen, dachte er, wurden aber von ihren Partnern aufs Kreuz gelegt. Sie sind aufgetaucht, um die Diebe zu überfallen. Man hat sie betrogen und sie sinnen auf Rache.
Und nun ist der Fremde auf der Jagd.
19
Als Erstes suchte Wyatt nach einem Ersatzschlüssel, drehte ein paar Steine im Garten um, sah unter die Topfpflanzen, glitt mit der Hand über die oberen Rahmen der Tür und der Fenster, nahm sich den Sicherungskasten vor.
Es war ein alter Sicherungskasten mit einem Zähler, der momentan nur einen minimalen Verbrauch anzeigte — vermutlich der Kühlschrank. Wyatt legte den Hauptschalter um, flitzte hinüber in die Büsche, um abzuwarten, ob der Alarm losginge und Eddie Oberin mit einer Waffe aus dem Haus gestürmt käme.
Nichts dergleichen geschah. Wyatt
Weitere Kostenlose Bücher