Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
eine steife Socke in einer staubigen Ecke, auf einen instabilen Kleiderschrank mit kaputter Tür. Nikotin hatte Wände und Decken verfärbt und der Teppich war voller Abdrücke von Möbelstücken. In der Küche, über der Spüle, hing eine elektrische Uhr, ein Opfer der Spinnweben und selbst für einen Trödler uninteressant, andererseits die Erklärung, weshalb der Stromzähler einen so geringen Verbrauch angezeigt hatte. Laut dieser Uhr war es zwanzig nach eins.
Im Flur, vor der Eingangstür, lagen Briefe und Prospekte. Ein Schreiben von Optus bestätigte, dass der Telefonanschluss gekündigt und das Konto ohne Restbetrag aufgelöst worden sei. Eine Bank hatte geschrieben: Um die Zwangsversteigerung offiziell einleiten zu können, sei möglichst bald sowohl Mr. Oberins persönliches Erscheinen als auch seine Unterschrift vonnöten.
Wyatt ging ein weiteres Mal durch das Haus und fand ein Streichholzbriefchen in kräftigem Marineblau, darauf gedruckt eine schwarze, geschwungene Silhouette, die Aufschrift »Blue Poles« in goldenen Buchstaben und eine Adresse in der Flinders Lane.
Es klopfte an der Tür.
20
Es klopfte ein zweites Mal. Jemand rief: »Eddie? Bist du da? Ich bin’s, Danielle.«
Wyatt zählte eins und eins zusammen, riss die Tür auf, packte die Frau am Unterarm und zog sie herein. Er hatte Danielle kaum über die Schwelle gezerrt, als er die Tür auch schon wieder zuschlug. Jetzt umfassten seine Finger Danielles Hals, drückten ihr die Luft ab, und sie wich zurück an die Wand, schraubte sich auf Zehenspitzen in die Höhe. Ihr Haar, ihre Kleidung und die Hände rochen nach gebratenem Fleisch und Soße.
Er lockerte seinen Griff. »Kommen Sie direkt von der Arbeit?«
»Was? Wer sind Sie? Wo’s Eddie?«
Das war nur Theater. Ihre Augen wichen ihm aus, sie suchte nach irgendeinem Dreh. Für so etwas fehlte Wyatt die Zeit, also drückte er wieder fester zu. »Sind Sie direkt hierhergekommen?«
Er sah, dass sie die Taktik änderte, ließ von ihr ab und beobachtete, wie sie schluckte, sich den Hals rieb und schließlich den Kopf schüttelte. »Nicht ganz. Ich bin schon mal hier gewesen.«
»Und?«
Sie zuckte mit den Achseln. »War niemand da, also bin ich was essen gegangen und habe Sie gesehen.«
Wyatt überlegte. »Auf dem Parkplatz von Subway? Sie haben mich erkannt?«, fragte er schließlich.
»Ja.« Bei ihrem Geständnis schwankte sie zwischen Stolz und Angst.
Wyatt zog sie von der Tür weg. »Wir müssen verschwinden. Sofort. Und zwar hinten raus.«
Sie wehrte sich gegen den stählernen Griff seiner Finger. »Aua! Warum?«
»Man ist Ihnen wahrscheinlich gefolgt.«
»Gefolgt?«
Wyatt erwiderte nichts darauf, sondern zog sie in einem wahren Hindernislauf hinter sich her zum Hinterausgang. »Sie tun mir weh«, sagte sie.
Er öffnete die Tür, verschaffte sich einen schnellen Überblick über den jämmerlichen Garten und hastete mit Danielle als Schutzschild die Stufen hinunter, hinein in das wuchernde Unkraut. Von der Straße drangen laute Männerstimmen herüber. Durch das Gras zerrte er Danielle zu den vermoderten Latten des Zauns.
»Die Jacke ist hinüber«, verkündete sie, als sie auf der anderen Seite waren, und hielt sich die zerrissene, mit Moos befleckte Jacke vom Körper weg.
»Seien Sie still!«
»Seien Sie doch still!«
Er versetzte ihr eine kräftige Ohrfeige. »Sie haben Eddie mit Informationen gefüttert.«
»Aua.«
»Los jetzt!« Er wollte, dass sie in die Gänge kam.
»Aber nicht mit Absicht. Und es ist eine Ewigkeit her.«
Wyatt stieß sie über das schmierige Pflaster bis zum Eingang der Gasse, bemüht, dass sich Danielle dicht an den Gartenzäunen und den Jasminranken vorbeibewegte. »Gleichgültig, ob Sie Eddie bewusst oder unbewusst geholfen haben, Sie sind eine Verdächtige.«
»Ich habe überhaupt nichts gemacht.«
Wyatt spürte, dass er kurz davor stand, die Beherrschung zu verlieren. »Es muss Ihnen jemand gefolgt sein, die Polizei oder Le Page. Und was für eine Überraschung, Sie gehen nicht nach Hause, sondern schnurstracks hierher, zum Haus eines Vorbestraften«, sagte er brutal.
Sie schwieg. Wyatt presste sich und auch Danielle gegen eine Mauer, streckte den Kopf vor, sah die Gasse hinunter, die Luft war rein. Er konnte sich keinen Reim auf die lauten Männerstimmen machen, auch nicht auf die darauf einsetzende Stille. Als ein Taxi am Bordstein der Querstraße hielt, rannte er in gebückter Haltung darauf zu, Danielles schmales Handgelenk noch
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