Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)
immer im Klammergriff seiner Finger.
»Aua.«
»Halten Sie den Mund.«
Sie schoben sich auf den Rücksitz und Wyatt sagte: »Southern Cross!« Der Fernbahnhof. Von dort aus konnte er jeden x-beliebigen Zug nehmen. Das Taxi fädelte sich in den Nachmittagsverkehr ein und passierte Eddie Oberins Straße. Drei junge Männer schubsten und bedrängten Le Page, mehr konnte Wyatt jedoch nicht beobachten. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück, zog Danielle zu sich heran, als wären sie ein Liebespaar, und flüsterte in ihr Ohr: »Le Page, ich habe ihn gerade gesehen.«
Sie erstarrte. »Jetzt wird’s brenzlig für Sie. Er wird Sie triezen. Gehen Sie nicht nach Hause.«
Sie nickte und Tränen tropften auf ihr T-Shirt.
Ohne eine Spur von Mitleid fuhr Wyatt fort: »Eines Tages ist Eddie Ihnen über den Weg gelaufen, nett, charmant, und ihr habt angefangen, euch zu treffen.«
»Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung, dass er mir auf den Zahn fühlen wollte.«
»Haben Sie gegenüber der Polizei seinen Namen erwähnt? Oder gegenüber Le Page?«
»Nein! Ich schwöre, ich hab es erst später geschnallt, und ... «
Wyatt ließ sie reden. Das tat ihr wahrscheinlich gut. Als sie wissen wollte, was er mit Eddie und dem Raub zu tun habe, erwiderte er nichts, drückte ihr stattdessen ein paar Dollar in die Hand und stieg an der nächsten Ampel aus.
21
Nach der Hektik des Vormittags gönnte Eddie Khandi eine Runde Schlaf, fuhr zurück nach Yarra Junction und erkundigte sich nach der Bibliothek. Seit er die Schule verlassen hatte, war er nicht einmal in der Nähe einer solchen gewesen, und bereits beim Betreten der kleinen Bücherei hinter den Dorfläden überfielen ihn triste Erinnerungen. Er vermied den Blick auf die Ansammlung abgegriffener gebundener Bücher und ging direkt zur Anmeldung.
»Ich würde gern ins Internet.«
Er sah hinüber zu der kleinen Gruppe von Computern. Jeder Platz war belegt — den grauen Haaren nach zu urteilen von Rentnern. Alte Knacker und alte Schachteln, die mit einem Finger auf den Tasten herumhämmerten und auf der Suche nach möglichen Sträflingen in ihrem Stammbaum das Netz durchforsteten.
Die Bibliothekarin fuhr mit dem Finger die Reservierungsliste entlang. »Ich fürchte, wir haben erst um zwei Uhr wieder einen freien Platz.«
Das gab ihm eine Stunde Zeit, etwas zu essen. »Das passt«, sagte Eddie.
Er ging in den Pub, bestellte eine Grillplatte und nuckelte an einem Bier. Er wollte einen klaren Kopf haben, wenn er zur Bibliothek zurückging.
Im Fernseher an der Wand oberhalb der Bar lief eine Talkshow. Als die neuesten Nachrichten kamen, versuchte Eddie, so viel wie möglich davon mitzubekommen. In der Hütte hatte er die Mittagsnachrichten gehört, aber die Einzelheiten über den Raub und den abgefackelten Audi waren eher dürftig gewesen. Eddie wollte Bilder. Er starrte auf den Bildschirm.
Gut, ein Bericht über den Park, die ausgebrannte Karosserie des Audi, Cops, Schaulustige, die umherschwirrten, und in einiger Entfernung ein Fahrzeug der Feuerwehr — aber keine Leichensäcke, keine Rettungswagen, kein einziges Wort über einen Mann und eine Frau mit Schussverletzungen.
Er wagte nicht, daran zu denken, dass Lydia noch am Leben sein, dass sie mit den Cops gesprochen haben könnte. Oder mit Wyatt. Würde sie sich nach all den Jahren noch an die Hütte erinnern? Er hatte Mühe, sein Bier auszutrinken. Es schmeckte inzwischen nach gar nichts und seine Geschmacksknospen, sein Mund und seine Kehle versagten ihm die Gefolgschaft. Er bestellte einen Scotch.
Um zwei Uhr saß er zwischen einem alten Kerl, der sich Bilder von Kriegsschiffen aus dem Zweiten Weltkrieg ansah, und einem Mädchen von fünfzehn Jahren, die Songtexte googelte. Sie hatte jede Menge Speck an der Taille, Haare in Neonblau und Ringe in den Knorpeln beider Ohren. Eddie rückte seinen Stuhl etwas von ihr weg und öffnete den Internet Explorer.
In der nächsten Stunde gab er die verschiedensten Kombinationen von Begriffen wie »Inhaberobligationen«, »Schatzbriefe«, »Bank of England« und »Diebstahl« ein. Ziemlich schnell stieß er auf einen Überfall, der sich unlängst ereignet hatte, eine große Sache, ein Kurier, den man in London am helllichten Tage mitten auf der Straße niedergestochen hatte. Eddie spürte ein Kribbeln und bewunderte die Chuzpe. Zweihundertsechzig Millionen! Und wer hatte den Rest? Er las weiter und erfuhr, dass Interpol aufgrund eines Hinweises vier Kuriere hatte festnehmen und im
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