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Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition)

Titel: Dirty Old Town: Ein Wyatt-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Garry Disher
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Zimmer zu Zimmer, hob jede Matratze hoch, doch die Lattenroste waren fest mit dem Rahmen verbunden, keine Chance, sie herauszubekommen.
    Stühle, Tische, der Schreibtisch, all das kam nicht infrage. Doch sonst bot sich nichts an. Vielleicht ein Besenstiel?
    Und so fand sie die Leiter. Zwischen Staubsauger, Mopp, Schrubber und Besen stand eine Teleskopleiter aus Aluminium. Sie war zwei Meter lang, ausgezogen maß sie vier Meter, und Lydia hetzte damit zum Balkon, zog den Vorhang zu und schloss die Schiebetür von außen. Jetzt war sie völlig auf sich allein gestellt, acht Stockwerke über dem Erdboden, erfasst von einer Brise, die vom Fluss herüberwehte.
    In seinem Hang zum Minimalismus hatte Wyatt nichts auf dem Balkon platziert, was Lydia jetzt in ihrem Aktionsradius einschränken könnte. Sie zog die Leiter auf volle Länge aus, lehnte sie gegen die Brüstung und schob sie in Richtung Nachbarbalkon, bis sie die Lücke zwischen ihrem und dem mit Pflanzen vollgestellten Balkon überbrückt hatte. Sie hatte vor, hinüberzukriechen, in die Wohnung zu schlüpfen und Wyatt anzurufen.
    Sofern die Sprossen und Nieten ihrem Gewicht standhielten. Sie schienen nicht einverstanden zu sein. Das Metall bog sich unter Lydias Gewicht, drückte unangenehm gegen Knie und Hände. Ihre Kopfwunde pochte, ein Pochen, das sich zu einem heftigen Schmerz hinter den Augen entwickelte. Dann war ihr, als würde sich in einem der lose nach unten hängenden Vorderteile ihrer Jeansjacke etwas bewegen, in der Brusttasche, also wollte sie mit der rechten Hand hineinlangen, während sie mit der linken im Gleichgewicht zu bleiben versuchte, nur um festzustellen, dass es zu spät war, ihr Mobiltelefon zu retten. Es segelte hinunter, prallte auf den Fußweg und das Plastik zersprang in diverse Einzelteile.
    Sie geriet in Panik. Wyatts Nummer war nur in diesem Telefon, sonst nirgendwo. Sie konnte ihn nicht mehr warnen, er konnte sie nicht mehr anrufen, sie konnten sich nicht treffen.
    Lydia kroch weiter auf der Leiter, hätte am liebsten um sich getreten und geheult, und als sie endlich den anderen Balkon erreicht hatte und wieder festen Boden unter den Füßen spürte, sah sie nur noch Sterne. Sie schwankte, hielt sich an der Brüstung fest und ermahnte sich, ruhig und gleichmäßig zu atmen. Die Sterne verschwanden.
    Sie holte die Leiter ein, schob sie auf die ursprüngliche Länge zusammen und betrat damit das Apartment. Ein Wohnzimmer. Es war leer, also versteckte sie die Leiter hinter einem Sofa.
    Eine Studentenbude? Es roch nach Räucherstäbchen und Marihuana. Und es gab weitere Hinweise wie die Lehrbücher und Ordner, die verstreut auf einem Tisch lagen, den aufgeklappten Laptop mit dem Konterfei eines chinesischen Jungen als Bildschirmschoner, Slips auf dem Boden, farbenfrohe Kissen und Tücher, Fotos einer lächelnden chinesischen Familie, die Hochhaustürme Hongkongs im Hintergrund.
    Doch nirgendwo ein Mensch in dem großzügigen Wohnbereich, auch nicht in der angrenzenden Küche. Wer auch immer hier wohnte, musste sich im Bad oder im Schlafzimmer aufhalten. Lydia schlich in den kleinen Flur, blieb nur kurz stehen, um sich eins der Tücher zu schnappen und um ein pinkfarbenes Mobiltelefon und drei Dollar fünfundsiebzig in Münzen einzustecken. Im Flur entdeckte sie eine offene Tür. Sie linste in das Zimmer und da lag eine junge Chinesin auf dem Bett, Kopfhörer aufgesetzt und die Augen geschlossen. Rauchschwaden hingen in der Luft und so hoffte Lydia, das Mädchen möge bekifft sein.
    Sie zog die Tür ran, schloss sie aber nicht. Eine geschlossene Tür könnte das Mädchen verwirren und aufschrecken. Ließe sie die Tür hingegen zu weit offen stehen, könnte sie, Lydia, gesehen werden, eine Bewegung genügte oder der Eindruck einer verschwommenen Silhouette im Gegenlicht.
    Lydia stellte sich hinter die Wohnungstür und sah durch den Spion. Den Kopf etwas angewinkelt, konnte sie den Flur zu beiden Seiten einsehen, ein wenig nur, aber immerhin. Die Frau vom Innenhof ging an der Tür vorbei; mit Kurs auf Wyatts Apartment trieb sie den Arzt vor sich her, eine Waffe gegen seinen Rücken gepresst.

    45

    Khandi zerschoss das Schloss und stieß Lowe in das Apartment. Sie hetzte durch die Räume, benutzte den Kerl dabei als Schutzschild, doch schnell war klar, dass die verdammte Schlampe sich verdrückt hatte. Aber es war das richtige Apartment: die Sachen im Schlafzimmer, in der Luft ein widerlich süßer Duft, kastanienbraune Haare im

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