Dirty Talk
trat, atmete er tief die beißend kalte Luft ein. Er gratulierte sich dazu, wieder mal einen Abend voller Beleidigungen und Peinlichkeiten seines Vaters überstanden zu haben. Vielleicht würde er sich in ein paar Tagen nicht mehr so enttäuscht und verletzt fühlen.
Und da er schon über Enttäuschungen nachdachte: Wo um alles in der Welt steckte Jo? Er war wütend, weil sie nicht aufgetaucht war. Weil sie nicht wenigstens angerufen hatte und offenbar ihr Handy ausgeschaltet war. Er machte sich Sorgen, dass ihr irgendwas passiert sein könnte. Und sie hatte ihn angelogen. Sie war nicht zur Arbeit gefahren, und einen Moment lang hatte er die schreckliche Vorstellung, dass sie mit dem Wagen von der Straße abgekommen war und irgendwo kalt und verängstigt lag und auf Hilfe wartete.
Der Abend wäre vollkommen anders gelaufen, wenn sie auch da gewesen wäre. Sein Vater hätte nicht so viel getrunken und wäre nicht so wütend geworden. Er hätte lieber den charmanten Iren und Geschichtenerzähler gespielt und wäre eine angenehme Gesellschaft gewesen.
Sobald er im Wagen saß, versuchte er es erneut auf Jos Handy, während der Motor warmlief. Er versuchte es zu Hause, aber dort war sie auch nicht.
Dann fuhr er zum Sender und klingelte an der Hintertür. Nur dort gelangte man außerhalb der Geschäftszeiten ins Sendergebäude. Vorausgesetzt, dass jemand die Tür aufmachte.
„Wer ist da?“ Er erkannte die Stimme aus der Gegensprechanlage. Sie gehörte zu der Frau, mit der er vorhin telefoniert hatte.
„Patrick Delaney. Jos Freund.“
„Sie ist erst vor fünf Minuten hier eingetroffen.“ Die Tür sprang summend auf.
Er schritt durch den Flur, der das ganze Gebäude umrundete, und traf die Nachrichtensprecherin. Vage erinnerte er sich an sie; es war das Mädchen, das beim Thanksgiving-Essen in Tränen ausgebrochen war. Er bedankte sich, dass sie ihn reingelassen hatte.
Sie war aufgeregt und ziemlich wütend. „Das sieht Jo überhaupt nicht ähnlich. Sie kam mehr als eine Stunde zu spät. Mein Freund ist ziemlich sauer, wenn ich um diese Zeit noch arbeiten muss.“
Er sah über ihrem Kopf das rote Licht aufflammen, das darauf hindeutete, dass Jo gerade on air war. Die Studiotür stand offen. Sie saß vor dem Mischpult und wurde von einer Lampe angeleuchtet. Der restliche Raum war in Dunkelheit gehüllt, ihre Stimme klang ganz ruhig und gleichmäßig. Sie sah ihn hinter dem Fenster und stockte mitten im Satz. Doch sie erholte sich rasch von dem Schreck und sprach weiter.
Als die Musik einsetzte, trat er durch die offene Tür und drückte einen Schalter daneben. Helles Licht durchflutete den Raum.
„Was zum Teufel ist hier eigentlich los, Jo?“
26. KAPITEL
Ich nahm den Kopfhörer ab und drehte mich auf dem Stuhl zu ihm um.
Er sah schrecklich aus. Zu Recht, und dabei kannte er nicht mal die halbe Wahrheit.
„Ich hab’s vermasselt. Wie war das Dinner mit deinem Vater?“
„Schrecklich. Wo hast du nur gesteckt? Und warum hast du dein Handy ausgeschaltet?“
Ich schaute auf die Uhr. Mir blieben ungefähr zwanzig Minuten, um ihm zu erklären, was ich getan hatte. „Heute Abend habe ich jemandem gesagt, dass ich ihn nicht lieben kann, weil er mich belogen hat. Und ich will dich nicht anlügen oder der Wahrheit ausweichen. Erinnerst du dich, wie ich dir erzählt habe, dass da noch etwas Unerledigtes auf mich wartet?“
Er nickte mit grimmiger Miene. Schob die Hände in seine Hosentaschen und sagte: „Weiter.“
„Ich habe mich irgendwie verliebt. In einen Mann, dem ich nie begegnet bin. Der Typ, mit dem ich Telefonsex hatte. Hier. Und ich habe mehr oder weniger zufällig herausgefunden, dass er derjenige war, der hinter meiner Einladung in die Gesellschaft steckte.
Und nachdem du Samstagabend gegangen warst, bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Ich meine damit, dass ich ihm zum ersten Mal gegenüberstand. Er wollte mir nicht sagen, warum er mich angelogen und mich wie eine Schachfigur in einem grotesken Spiel benutzt hatte. Und ich wollte ihm zu dem Zeitpunkt ohnehin nicht zuhören. Darum habe ich ihm vorgeschlagen, mich heute zu treffen und alles zu erklären. Er war damit einverstanden und fand wohl auch, dass ich eine Erklärung verdiente. Ja, und heute war dieses Treffen.“
„Diese Erklärung“, sagte Patrick langsam, „beinhaltete die auch zufällig seinen Schwanz?“
Ich wünschte, ich hätte ihn anlügen können. Aber ich musste ihm jetzt alles erzählen. Absolut alles.
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