Diva (DE)
die ihr über die Wange laufen.
Der Diamant kreischt über das Glas. Das Geräusch einer Spontanmigräne.
Der Spiegel des Dorian Gray .
Dann hallen Schritte aus dem Off. Der Herzschlag von Herrenlederschuhen nähert sich durch den Korridor, Schritt für Schritt lauter auf dem Steinboden. Van Heffin oder vielleicht Laurence Olivier . Randolph Scott oder womöglich Sid Luft .
In der Stille zwischen zwei Schritten, zwischen Herzschlägen, lege ich den Spiegel mit dem Gesicht nach unten in die Nische. Ich gebe meiner Miss Kathie den Diamantring zurück.
Die Silhouette eines Mannes füllt den Eingang zur Krypta, groß und schlank, mit durchgedrückten Schultern vor dem Licht im Gang.
Miss Kathie dreht sich um, eine Hand greift schon nach der angelaufenen Lippenstiftröhre. Sie blinzelt den Mann an und sagt: »Bist du das etwa, Groucho ?«
Ein Blumenstrauß taucht aus dem Dämmer, der Mann hält ihn ihr hin. Rosafarbene Nancy-Reagan -Rosen und gelbe Lilien, ein Duft hell wie Sonnenlicht. Die Stimme des Mannes sagt: »Dein Verlust schmerzt mich sehr…« Die glatten Knöchel und die reine Haut der Hände eines jungen Mannes, die Fingernägel glänzend und poliert.
Was Hedda Hopper einen »Begräbnisflirt« nennt. Louella Parsons einen »Trauerfreier«. Walter Winchell einen »Sarglöwen«.
Webster Carlton Westward III tritt vor. Der junge Mann von der Dinnerparty. Name und Telefonnummer auf der verbrannten Tischkarte.
Diese Augen, hellbraun wie Sommer-Rootbeer.
Ich schüttle den Kopf. Nicht noch einmal diese Tortur. Fall nicht schon wieder auf einen rein.
Aber schon malt meine Miss Kathie eine frische Schicht Rot um ihren Mund. Und wirft den alten Lippenstift mit Geklapper zwischen die angelaufenen Urnen. Zwischen die leeren Weinflaschen, die man auch »tote Soldaten« nennt. Meine Miss Kathie lässt das schwarze Geflecht ihres Schleiers herab und greift mit einer behandschuhten Hand nach etwas Staubbedecktem, etwas, das vor langer Zeit zwischen ihren toten Geliebten liegen gelassen und vergessen wurde. Sie hebt diesen uralten Gegenstand auf, und ihre roten Lippen flüstern: »Mangiare bene .« Und fügt hinzu: »Das ist Französisch und heißt ›Sag niemals nie‹.« Ihre veilchenblauen Augen, milchig und verschwommen von Medikamenten und Cognac, nimmt Miss Kathie die Blumen entgegen und lässt mit derselben Bewegung das staubige Ding – ihr Diaphragma – in der bauschigen Tasche ihres alten Nerzmantels verschwinden.
1. AKT, FÜNFTE SZENE
Clare Booth Luce hat einmal das Folgende über Katherine Kenton gesagt: »Wenn sie verliebt ist, kann nichts sie traurig machen; ist sie jedoch nicht verliebt, kann nichts sie glücklich machen.«
Wir spielen die nächste Szene in dem an Miss Kathies Boudoir angrenzenden Badezimmer. Es beginnt damit, dass wir meine Miss Kathie am Toilettentisch entdecken, vor drei Spiegeln, die so eingestellt sind, dass ihr rechtes Profil, ihr linkes Profil und ihr Gesicht von vorn zu sehen ist. Der von Webster Carlton Westward III abgegebene Strauß aus rosafarbenen Nancy-Reagan -Rosen und gelben Lilien steht in einer Vase, die wenigen Blumen so oft hin und her gespiegelt, dass man sich in eine Blumenhandlung versetzt fühlt. In einen Garten. Der eine Strauß, vervielfältigt. Unendlich gemacht. Nicht zum Vergammeln in der Krypta gelassen.
An dem Strauß hängt ein Pergamentkärtchen: Unsere Liebe ist nur vergeudet, wenn wir sie nicht mit einem anderen Menschen teilen. Bitte, erlaube der Welt, ihre grenzenlose Liebe mit dir zu teilen . Irgendein Gefasel, geklaut bei John Milton oder Mohandas Gandhi .
In den Spiegeln zwickt meine Miss Kathie die schlaffe Haut unter ihrem Kinn. Sie zwickt und zwackt an der Haut und sagt: »Keinen Whiskey mehr. Und kein Stück mehr von diesen verdammten Pralinen.«
Schokoladenvergiftung, das passt genau zu den Symptomen. Schande über Miss Kathie, weil sie eine ganze Schachtel achtlos auf dem Bett liegen ließ, wo Loverboy sie natürlich erschnüffeln musste. Das in einer einzigen Praline enthaltene Koffein reicht ohne weiteres aus, bei einem Hund dieser Größe einen Herzinfarkt auszulösen.
Die Pergamentkarte ist unterschrieben mit Webb . Der Westward-Bengel, was Cholly Knickerbocker als »opportunistische Zuneigung« bezeichnen würde. Neben den Rosen auf ihrem polierten Toilettentisch liegt die Gummibeule von Miss Kathies Diaphragma, rosa Gummi mit Staubflocken drauf.
Miss Kathie schält ihre falschen Wimpern ab, sieht mich hinter sich
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