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Diva (DE)

Diva (DE)

Titel: Diva (DE) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Schönheitschirurgen zu gehen und sich alle neuen Falten und schlaffen Hautpartien in ihrem Gesicht entfernen zu lassen.
    Wenn diese neue Show ein Erfolg würde, wenn ich meine Miss Kathie wieder an die Spitze bringen und ihr zu neuen Scharen von Bewunderern verhelfen würde, wäre das die ideale Zeit für den Abschluss seines letzten Kapitels. Seine »Lügographie« käme am selben Tag in die Läden wie die Nachricht von ihrem Tod in die Zeitungen. In derselben Woche, in der die Premiere ihrer neuen Broadway-Show von den Kritikern gefeiert werde.
    Aber nicht diese Woche, sage ich Terry.
    Ich tupfe mit dem Saum meiner gestärkten Dienstmädchenschürze einem Säugling in meinem Arm das Gesicht ab. Ich beuge mich hinunter und ziehe unter der Windel eines Babys am Boden ein dünnes Bündel Papier hervor. Ich gebe Terry die bedruckten Blätter und frage, ob er die zweite Fassung von Sklave der Liebe lesen möchte. Nur das letzte Kapitel; es handelt sich um den Entwurf für Miss Kathies neueste Begegnung mit dem Tod.
    »Wie ist unser mörderischer Adonis eigentlich im Krankenhaus gelandet?«, sagt Terry.
    Und ich werfe ihm das neueste überarbeitete Schlusskapitel vor die Füße.
    Auf der Bühne zeigt Lilly meiner Miss Kathie, wie man einen korrekten tour en l’air macht, während man gleichzeitig einem feindlichen Wachposten die Kehle durchschneidet.
    Terry hebt die Blätter auf. Er hält das Waisenkind auf seinen Knien und sagt: »Es war einmal …« Er legt sich das Baby in einer Armbeuge zurecht und beugt sich über das winzige Gesicht wie über ein Radiomikrofon oder eine Kamera, irgendein Werkzeug, mit dem er sein Leben für die Ewigkeit festhalten kann. Er spricht in diesen Findling hinein, füllt dieses leere Köpfchen, füllt diese Augen und Ohren mit dem Klang seiner Stimme und liest: »›Es mag Ironie des Schicksals sein, aber am Ende war es kein Filmkritiker, kein Jack Grant , keine Pauline Kael und kein David Ogden Stewart , der Katherine in blutige Fetzen zerriss, sondern ein wilder Grizzlybär …‹«

2. AKT, VIERTE SZENE
     
    Im Off liest Terrence Terry aus dem revidierten Schlusskapitel von Sklave der Liebe vor. Während das Theater aus der vorigen Szene ausgeblendet wird, hören wir weiterhin die Probengeräusche: Zimmerleute, die Kulissen zusammenhämmern, Steptanz, MG-Salven, Todesschreie von Matrosen, die bei lebendigem Leibe verbrennen, und Lillian Hellman . Diese Geräusche klingen jedoch ab, als wir nun endgültig in Miss Kathies weichgezeichnetes Boudoir zurückblenden. Wir sehen Webster Carlton Westward III , man sieht nur seinen nackten, schweißglänzenden Oberkörper, er hebt eine triefnasse Hand an seine Nase, schließt die Augen und holt tief Luft. Seine Hände sinken aus dem Bild, kommen wieder hoch und halten je einen schlanken Knöchel umfasst. Er hebt die Füße in Schulterhöhe, weit auseinander. Webbs Hüfte schnellt vor, zieht zurück, drängt vor und zieht zurück, und dazu liest die Off-Stimme vor: »›… Am letzten Tag von Katherine Kentons Leben trieb ich den Bug meines schmerzenden Liebesstabs so sanft wie nie an die knotigen Falten ihrer verbotenen Eingangspforte …‹«
    Wieder sind die beiden Kopulierenden idealisierte Versionen von Webb und Miss Kathie, gesehen durch dicke Filter, die Bewegungen in Zeitlupe, fließend, vielleicht verschwommen.
    Terrys Stimme liest vor: »›Der pikante Duft ihrer leibhaftigsten Öffnung überschwemmt meine Sinne. Meine immer zunehmende Bewunderung und professionelle Hochachtung kochen vor Verlangen, und ich fahre tiefer in die zarten beschmutzten Blütenblätter ihrer fruchtbaren Rose hinein…‹«
    Ein Jahr vor der Französischen Revolution versuchten Terrence Terry zufolge die Antiroyalisten das Ansehen von Louis XVI und seiner Königin Marie Antoinette durch die Veröffentlichung von Zeichnungen zu schädigen, auf denen die Majestäten bei dekadenten Sexualpraktiken dargestellt waren. Diese Karikaturen, gedruckt in Deutschland und der Schweiz und nach Frankreich geschmuggelt, unterstellten der Königin, sie treibe es mit ganzen Rudeln von Hunden, Dienstboten und Kirchenmännern. Vor dem Sturm auf die Bastille , vor dem »nationalen Rasiermesser « und vor Jean-Paul Marat infiltrierten diese kruden Strichzeichnungen die Herzen der Bürger als Vorhut der Rebellion. Komische Propaganda. Obszöne Bildchen und schmutzige Geschichten marschierten als Wahlhelfer voran, zerstörten Respekt und ebneten den Weg für das blutige

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