Diva (DE)
es nicht selber täte, würden die Boulevardblätter sie schlachten.
Sie und ich, fast unsichtbar in der Ferne, bewegen uns weiter durch diese extreme Totale. Der Park um uns versinkt in der Dämmerung. Und immer noch ziehen wir zwei Punkte im Gleichschritt dahin, weder schneller noch langsamer. Und die Kamera zieht mit und hält uns immer im Zentrum des Bilds.
Eine Uhr schlägt siebenmal. Die Turmuhr im Zoo des Central Park.
Das Essen ist für acht Uhr reserviert.
»Webb hat das ganze abscheuliche Buch geschrieben«, sagt die Stimme von Miss Kathie. »Selbst wenn ich ihn zur Rede stelle, selbst wenn ich die Verschwörung heute Abend durchkreuze, kann es sein, dass seine Handlung nicht hier endet.«
Unter den Umgebungsgeräuschen hören wir auch einen Bus, dessen Gebrumm uns anschaulich macht, wie meine Miss Kathie zu blutigen Pailletten zermalmt werden könnte. Vielleicht schon in ein oder zwei Stunden. Ihr kastanienbraunes Filmstarhaar und ihre perfekten Zähne, weiß und strahlend wie das Gebiss von Clark Gable , all das könnte an einem grinsenden Kühlergrill kleben. Ihre veilchenblauen Augen könnten aus den geschminkten Höhlen platzen und aus der Gosse heraus eine Schar entsetzter Fans anstarren.
Der Abend wird dunkler, und unsere winzigen Gestalten nähern sich dem Rand des Parks an der Fifth Avenue. Auf einen Schlag gehen alle Straßenlaternen an.
Im selben Augenblick bleibt eine winzige Gestalt stehen, während die zweite noch ein paar Schritte weitergeht.
Die Stimme von Miss Kathie sagt: »Warte.« Sie sagt: »Wir müssen herausfinden, worauf das hinausläuft. Wir müssen die zweite Fassung lesen, die dritte und die vierte, um zu sehen, wie weit Webb gehen wird, um dieses schreckliche Buch abzuschließen.«
Ich soll diese Fassung in seinen Koffer zurückschmuggeln, und wir müssen uns dann, während Miss Kathie einen Mordversuch nach dem anderen vereitelt, immer wieder die nächste Fassung ansehen, um dem nächsten Anschlag zuvorzukommen. Bis uns eine Lösung einfällt.
Als die Ampeln umspringen, überqueren wir die Fifth Avenue.
Schnitt auf uns beide, wie wir uns Miss Kathies Stadthaus nähern, in der Halbtotalen steigen wir die Eingangsstufen hinauf. Von der Straße aus sehen wir im ersten Stock, im Fenster ihres Boudoirs, eine behaarte Hand einen Spalt im Vorhang öffnen und braune Augen, die uns beobachten. Aus dem Haus hören wir Schritte die Treppe herunterpoltern. Die Haustür schwingt auf, und Mr. Westward steht im Licht des Vorsaals. Er trägt den im letzten Kapitel von Sklave der Liebe erwähnten zweireihigen Brooks-Brothers- Smoking. Eine Orchidee im Knopfloch seines Revers. Die Enden einer weißen Fliege hängen lose um seinen Kragen geschlungen, und Webster Carlton Westward III sagt: »Wir müssen uns beeilen, wenn wir unseren Zeitplan einhalten wollen.« Er sieht zu uns hinunter, fasst die Enden seiner Fliege, beugt sich vor und sagt: »Würde es euch umbringen, mir dabei zu helfen?«
Diese Hände, diese weichen Werkzeuge, mit denen er einen Mord begehen wollte. Hinter diesem Lächeln der verschlagene Kopf, der diesen Verrat geplant hatte. Um der Schmach die Krone aufzusetzen, würden sich Leute wie Frazier Hunt von Photoplay , Katherine Albert von der Zeitschrift Modern Screen , Howard Barnes von der New York Herald Tribune , Jack Grant von Screen Book , Sheilah Graham , der ganze miese Abschaum von Confidential und sämtliche zukünftigen Biographen aus dem Vorrat an Lügen bedienen, die er über meine Miss Kathie und ihre Sexabenteuer geschrieben hatte. Diese geschmacklosen, schwülstigen, schmutzigen Erfindungen würden versteinern und für alle Ewigkeit zu Fossilien werden, zu diamantharten, in Stein gemeißelten Tatsachen. Eine obszöne Lüge behält immer die Oberhand über eine edle Wahrheit.
Miss Kathies veilchenblauer Blick schwebt mir in die Augen.
Ein Bus donnert auf der Straße vorbei, erschüttert den Boden mit seiner Masse und zieht den Auspuffgestank von Diesel hinter sich her. Die Luft wirbelt um uns herum, verdreckt von Staub und unheilschwanger von drohendem Tod.
Dann steigt Miss Kathie zu Webster hinauf, der in der Haustür wartet. Sie reckt sich auf die Zehenspitzen und beginnt an seiner weißen Frackschleife zu nesteln. Ihr Filmstargesicht bloß einen Atemstoß von seinem entfernt. Jetzt und für die unmittelbare Zukunft bringt sie die größtmögliche Distanz zwischen sich und dem unablässigen marodierenden Strom von Autobussen.
Und Webb, der falsche,
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