Djihad Paradise: Roman (German Edition)
frische Nachtluft ein.
»Mann, bin ich froh, dass wir aus diesem Sündenpfuhl wieder draußen sind«, sagte ich.
Murat schwieg. Ich blickte ihn an. Irgendwas schien in ihm zu arbeiten.
»Wasn los?«, nuschelte ich.
»Shaitan hat uns in Versuchung geführt!«, rief er und klang dabei sowohl verbittert als auch panisch.
»Ach, komm«, sagte ich und legte ihm den Arm um die Schulter, »für ein bisschen Tanzen, Musik und Alkohol werden wir schon nicht über dem offenen Feuer gebraten werden. Wir können es ja morgen alles bereuen.«
»Bereuen? Morgen? Ich sag dir mal was, ich bereue es jetzt schon zutiefst, meinen Fuß in diese Vorhölle gesetzt zu haben.«
»Alter, beruhig dich.« Gerade hatte ich überhaupt keine Lust, über die Konsequenzen unseres kleinen Abstechers in den Sündenpfuhl nachzudenken. Ich brauchte meine gesamte Konzentration, um nicht umzufallen. Und wenn ich ehrlich war, war da so eine Euphorie. Ich hatte das Leben gespürt. Ich meine, das Leben, so, wie es wirklich war. Nicht nur das spirituelle. Aber ich war nur kurz ehrlich. Solange ich besoffen war, war ich ehrlich zu mir selbst. Todmüde sank ich ins Bett und fiel sofort in einen komatösen Schlaf.
Wieder ritt ich auf dem Burak und führte über den Wolken das Heer der Gotteskrieger an, aber auf einmal färbte sich der Himmel schlingpflanzengrün. Der Burak stieg ängstlich auf und schnaubte. Romea stand am Steuer eines Segelschiffes. Ein Dreimaster mit geborstenem Rumpf, muschelverkrustet, algenverhangen. Die Bordkanonen waren auf mich gerichtet, und Romea, die auf ihrem rechten Auge eine Auster als Augenklappe trug, rief mir zu: »Reite weiter und stirb oder folge mir und lebe. Das einzig sichere Paradies ist das Jetzt!«
Der Burak scharrte mit den Hufen und warf mir einen drohenden Blick zu und das Heer auf der Erde war in Unordnung geraten. Ich blickte zu Romea und hasste sie. Wie konnte sie es wagen, sich mir in den Weg zu stellen? Die Lunten der Kanonen brannten schon. Ich ließ mich doch nicht erpressen. Aber in diesem Augenblick kippte Romea einen Eimer Wasser über die Lunten, warf mir einen traurigen Blick zu und drehte bei. Und ich, ich geriet in Panik und rief ihr zu: »Romea, warte! Ich liebe dich!«
Und ich stürzte vom Burak, der sich zusammen mit dem Heer in Nebel auflöste, und stürzte und stürzte und für einen kurzen Augenblick spürte ich einen Schmerz, als mein Körper auf die Meeresoberfläche traf, und ich sank und sank und sank und ich wusste, Romea würde unten auf mich warten, und auf einmal war ich seit Langem einfach nur glücklich. Und in all mein Glück mischte sich der grausame Weckerklingelton meines Handys. Erschrocken fuhr ich auf und rieb mir den Schädel. Ich hatte einen fürchterlichen Kater. Das war die Strafe Allahs, des Allmächtigen. In jeder, wirklich jeder Hinsicht hatte ich über die Stränge geschlagen. Und sogar noch im Traum hatte ich mich versündigt, indem ich den rechten Weg verlassen und in die unendlichen Tiefen des Ozeans versunken war.
»Ich glaube, das mit dem Club gestern war eine scheiß Idee gewesen«, murmelte ich. Ich war tief zerknirscht und Murat ging es nicht besser.
»Ja. Wir haben uns in Versuchung führen lassen«, stimmte er mir zu. Er wirkte noch immer sehr verstört.
»Hm«, sagte ich und wusste selbst nicht, was dieses »hm« bedeutete. »Hätte, wäre, wenn. Bruder, es hat keinen Sinn, nach hinten zu blicken. Was wir getan haben, haben wir getan. Aber in vier Stunden geht unser Flug nach Teheran und dort sind wir sicher vor den Verlockungen des Westens. Und dort müssen wir uns dann endlich als würdig erweisen«, sagte ich und versuchte, mir selbst zu glauben.
Ich fragte mich, warum es so wichtig war, dass wir in Wien eincheckten. Soweit ich wusste, hätte es in Frankfurt Direktflüge nach Teheran gegeben. Aber was sollte es? Wir mussten ja irgendwie an die Kontaktadresse kommen, die uns der Marokkaner gestern gegeben hatte. Wahrscheinlich wäre es zu gefährlich gewesen, sie uns zu schicken. Wie auch immer. Jedenfalls mussten wir jetzt über Istanbul fliegen und hatten einen stundenlangen Aufenthalt dort.
Murat und ich hockten auf unseren Rucksäcken und verfolgten das Treiben. Es war schon ein wenig wilder als in Wien. Türkische Großfamilien, überschminkte Russinnen und Urlauber checkten ein und aus, riesige verschnürte Plastiktaschen wurden durch die Gegend gewuchtet und als Handgepäck deklariert. Trotz unserer Müdigkeit waren wir aufgeregt und weil
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