Djihad Paradise: Roman (German Edition)
buchten wir sofort ein Ticket für den nächsten Tag.
Dann suchten wir noch mal den Imam auf, um uns von ihm zu verabschieden. Doch er schien heute wenig Freude an uns zu haben. Man wurde ohnehin nie schlau aus ihm. In seinen Predigten riss er einen mit, zielte tief ins Herz seiner Zuhörer und verfehlte sein Ziel nie. Er konnte auf uns die gesamte Klaviatur unserer Empfindungen abrufen, warf seine Wörter aus wie ein Sämann die Körner und in uns wuchs ein Gefühl daraus; außerhalb seiner Predigten war er zwar genauso hellwach, aber was er dachte, das wusste man nie. Und vielleicht war es diese Undurchdringlichkeit, die einen ständig dazu trieb, es ihm recht machen zu wollen. Und wenn man es nicht schaffte, dann fühlte man sich einfach schlecht. Genau so war es auch heute.
Bevor Murat und ich auch nur irgendwas sagen konnten, wandte sich der Imam schon an mich. »Ich habe gehört, deine Frau ist dir weggelaufen.«
Ich wurde rot, dann sauer. Woher wusste er das? Ich warf Murat einen bösen Blick zu, aber er zuckte nur mit den Schultern.
»Eine Ehefrau verlässt nicht einfach so ihren Ehemann. Und ein echter Mann lässt sich nicht einfach so verlassen«, fuhr er fort.
Der hatte gut reden. Was sollte ich tun? Shania in einen Sack stopfen und hier wieder ausleeren?
»Deswegen sind wir eigentlich nicht gekommen. Wir wollten uns verabschieden. Wir gehen in ein Ausbildungslager nach Nordwaziristan.«
Der Imam hob fragend seine linke Braue. »Nordwaziristan?« Der Imam nickte. Dann schwieg er einen Augenblick und sagte dann:
»Ja. Gut. Sehr gut. Macht das, aber haltet die Gemeinde dabei heraus.«
»Aber ich dachte, damit kann sich die Gemeinde schmücken?«, fragte Murat.
Der Imam funkelte ihn an. »Wie dumm bist du eigentlich? Wir sind hier in Berlin umgeben von Feinden. Nach außen geben wir uns natürlich sanft und angepasst und besiegt. Das wird unsere Feinde in Sicherheit wiegen und das wiederum macht sie schwach. Kapiert? Also, ab jetzt seid ihr ganz allein. Ihr seid ganz allein auf euch, auf Amir und seine Kontaktmänner gestellt. Und wenn etwas schiefgeht, dann wendet euch keinesfalls an die Bruderschaft. Habt ihr das verstanden?«
Etwas belämmert nickten wir.
»Na dann, viel Erfolg«, sagte er und damit war er fertig mit uns und während Murat am Nachmittag noch mal Kontakt zu Amir in Ägypten aufnahm, versuchte ich, Shania zu erreichen. Ungefähr hundert Mal habe ich sie angerufen. Aber sie ging nicht ran. Natürlich ging sie nicht ran.
Als ich wieder zu mir kam, war der Mann, der mal Julian und dann Abdel gewesen war, verschwunden. Ich ging ins Bad und starrte in den Spiegel. Eine Frau, die sich hatte verprügeln lassen. Keine Ahnung, wer das war. Das konnte nicht ich sein. Ich wusch mir das verkrustete Blut vom Gesicht. Noch einmal warf ich einen Blick in den Spiegel. Hier hielt mich nichts mehr. Ich packte meine Sachen, schüttelte die Schneekugel, sah hinein und wünschte mich ins Meer zurück. Dann verließ ich das Zimmer. Als ich aus der Haustür treten wollte, lief mir Shirin über den Weg.
»Was ist denn passiert?«, fragte sie und legte mir die Hand auf die Schulter.
Ich entwand mich ihrer Berührung. »Wonach sieht es denn aus?«, sagte ich und setzte meinen Fuß über die Schwelle.
»Shania! Ich weiß, es ist schlimm, aber überleg es dir doch noch mal.«
Ich drehte mich um und sah sie lange an. »Ihr seid solche Heuchler. Alle«, sagte ich und ging.
Und dann folgte ein langer Gang durch die Nacht. Ich war ein Irrlicht, das zu erlöschen drohte. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich nach Hause gekommen war, aber plötzlich stand ich vor dem Achenbach’schen Anwesen und klingelte. Alles war dunkel. Hoffentlich war jemand zu Hause. Ich klingelte noch einmal und es dauerte eine ganze Weile, bis endlich das Licht anging und kurz darauf Pa die Haustür öffnete. Er starrte mich an. Ich glaube, für den Bruchteil einer Sekunde erkannte er seine eigene Tochter nicht mehr.
»Du???«, sagte er schließlich.
Ja, ich. Oder das, was von mir übrig war.
Er zog mich nach drinnen. »Du bist ja blutüberströmt.«
Ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich noch immer blutete.
»Um Gottes willen, Romea! Was haben die denn mit dir gemacht?« Pa wurde ganz bleich und gleich darauf wütend. »Diese gottverdammten Arschlöcher!« Er sah mich so fassungslos an, wie man sonst wohl nur bruchgelandete Ufos anstarrt. Dann schubste er mich ins Licht und begutachtete meine Blessuren. »Romea, du musst
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