Djihad Paradise: Roman (German Edition)
gestampftem Lehm, eine nackte Glühbirne an der Decke und zwei verranzte Decken. Das war’s. Mir war überhaupt nicht klar, was hier abging und wo wir waren. Waren wir entführt worden? Wollte man in Deutschland Kohle für uns erpressen? Aber wer würde da für uns irgendwas zahlen wollen? Murat war mittlerweile sehr schweigsam geworden und starrte apathisch mit glasigem Blick vor sich hin. Ich hatte wahnsinnigen Hunger.
Nach ungefähr zwei Stunden tauchte ein Typ auf und stellte uns einen Topf mit gekochten Kartoffeln in Öl und zwei Krüge Wasser hin. Das war’s. Trotzdem fielen wir über die Kartoffeln her, als wären es Hamburger.
Nach einer halben Stunde kehrte der Typ zurück und sagte in gebrochenem Englisch: »You! Control … They check if you are o.k.«
Ich konnte es nicht glauben! Wir legten so einen langen Weg bis hierher zurück und die misstrauten uns. Bitterkeit stieg in mir auf. Ich hatte auf einmal einen gallig-metallischen Geschmack im Mund.
Etwa eine weitere Stunde später tauchten auf einmal zwei weitere Männer auf, die ich bisher hier noch nicht gesehen hatte. Sie waren nach Art der Paschtunen gekleidet. Weiße weite Hosen, ein langes weißes, weites Hemd, eine braune Weste darüber, und der eine hatte eine verfilzte Mütze, die ein wenig wie eine Mischung aus Turban und Baskenmütze aussah und die, wie ich später erfuhr, Pakul genannt wurde. Der andere trug eine zylindrische Kappe, die in der Mitte der Stirn ein wenig ausgeschnitten und verziert war. Beide hatten sie ihre Kalaschnikow dabei. Es war nicht zu übersehen, dass sie Paschtunen waren. Ihr Englisch war ein wenig besser als das der anderen.
»So, you tell us who has sent you«, begann der eine. Und dann begann ein Verhör vom Feinsten. Wer wir seien, woher wir kämen, mit wem wir gereist wären, was wir wollten und wer unsere Freunde wären. Wir konnten nur einen Teil der Fragen beantworten. Man hatte uns ja selbst nicht viele Informationen gegeben. Bisher waren wir immer nur weitergereicht worden. Namen spielten keine Rolle. Die einzige Person, die wir näher kannten, war Amir aus der Sprachschule in Alexandria.
»So who is this Amir?«, einer der Mudjahedin verlor die Geduld. Das Verhör drehte sich seit Stunden im Kreis. »I must know who he is!«
Die beiden Mudjahedin glaubten uns nicht. Ich war verzweifelt. Ich konnte ihnen nichts beweisen. Gar nichts. Ich betete zu Allah, dem Allmächtigen, dass wir bald weiterkamen. Aber Allah wollte uns prüfen. Das war sicher die Vergeltung für unseren unsittlichen Ausflug in den Club in Wien.
Irgendwann gingen die beiden Kämpfer. Wir bekamen noch einen Krug Wasser. Dann wurde das Licht ausgeschaltet.
Murat wälzte sich unruhig auf seinem Lager hin und her. Ihm war noch immer schlecht und ab und zu übergab er sich. Ich ging zu ihm und stellte erschrocken fest, dass er Fieber und Schüttelfrost hatte, und ich wickelte ihm die Decke fest um den Leib. Mehr konnte ich nicht tun. Auch die Medikamente hatten sie uns abgenommen.
Ein paar Tage lang geschah überhaupt nichts. Ich verlor den Überblick und jegliches Zeitgefühl. Die nackte Glühbirne ging irgendwann an und irgendwann wieder aus. Zweimal am Tag kam der Typ mit seinen Kartoffeln und den Wasserkrügen. Es gab den gestampften Lehmfußboden und irgendwo ganz hinten ein Loch im Boden, das als Klo diente. Es gab Murat und mich und die zwei Decken und sonst gab es nichts.
Murat ging es von Tag zu Tag schlechter. Irgendwann war er gar nicht mehr ansprechbar. Ich flößte ihm in regelmäßigen Abständen Wasser ein, das er sofort wieder ausschwitzte. Und ansonsten blieb mir nur noch übrig zu beten. Ich betete. Tag und Nacht betete ich. Dafür, dass wir hier wieder rauskamen, dafür, dass Murat nicht starb, jedenfalls nicht so, sondern als Shahid. Und eines Tages erhörte Allah, der Barmherzige, mein Flehen. Murat war wieder ansprechbar. Ich hatte inzwischen jedes Zeitgefühl verloren. Aber noch am selben Tag erschienen die beiden Mudjahedin wieder und verhörten uns aufs Neue. Die gleichen Fragen. Die gleichen Antworten. Die gleichen Leerstellen. Diesmal reichte ihre Geduld weniger weit. Weil ihnen unsere Antworten nicht gefielen, schlugen sie uns zusammen und ließen uns dann liegen. Ich wehrte mich nicht. Gegen eine Kalaschnikow hatte ich keine Chance. Das Licht ging aus. Tagelang geschah wieder nichts. Licht an. Licht aus. Dazwischen Kartoffeln essen, Wasser trinken, Loch benutzen, beten, warten. Und wieder verlor ich mein
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