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Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Djihad Paradise: Roman (German Edition)

Titel: Djihad Paradise: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Kuschnarowa
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Zeitgefühl.
    Und dann, irgendwann, wurde mitten in der Nacht – oder was heißt Nacht: mitten in der Phase der gelöschten Glühbirne – die Tür aufgerissen und ein Mann schrie: »Come, come. Hurry up!«
    Verschlafen stolperten wir nach draußen. Es war tatsächlich Nacht. Uns wurden die Augen verbunden und man stieß uns in ein Fahrzeug.
    Die Fahrt dauerte etwa zwei Stunden, dann wurden uns die Augenbinden wieder abgenommen. Es war schweinekalt und die Kälte wanderte an mir hoch. Ich blickte umher. Wir waren in den Bergen und über die Gipfel kroch eine fahle Sonne.
    »Here we are. Welcome to the Mujahideen!«, sagte ein drahtiger Paschtune.
    Murat und ich sahen uns an. Ich grinste. Murat grinste zurück. Er war noch immer ziemlich geschwächt. Aber wir hatten es geschafft. Endlich waren wir im Ausbildungslager angekommen. In diesem Moment spürte ich mein Gedärm. Und wie. Ich stürzte los.
    »Stop!«, brüllte einer der Kämpfer, aber ich musste mich unbedingt sofort hinter einen Stein hocken. Ein Schuss ertönte und etwas flog dicht an mir vorbei. Verdammt, der schoss auf mich. Ich blieb stehen und hob die Hände.
    »Where do you go?« Der Mudjahed rannte wütend auf mich zu.
    »Where is the toilet?«, fragte ich. Es war mir neu, dass es ein Verbrechen war, wenn man mal musste.
    Er sah mich verdutzt an, dann polterte ein raues Lachen aus ihm heraus. »Everywhere is the toilet«, sagte er und zeigte mit beiden Händen um sich in die Landschaft. Er ging wieder zu den anderen zurück und ich schaffte es gerade noch hinter einen großen Felsbrocken. Die Nerven schienen hier allgemein recht blank zu liegen.
    Als ich zurückkam, zeigte uns der nervöse Paschtune, der offenbar unser Ausbilder war und Ehsanulla hieß, unser Quartier. Es gab ein paar Höhlen und Lehmhütten. In den Lehmhütten lebten die Ausbilder und in den Höhlen die zukünftigen Kämpfer. Überrascht bemerkte ich, dass vor den Höhlen bewaffnete Typen patrouillierten.
    »So you don’t run away«, sagte Ehsanulla.
    Ich hielt das für einen schlechten Witz, aber erst später stellte sich heraus, dass es keiner war.
    Dann lud uns Ehsanulla zum Willkommensmahl ein und ich freute mich auf ein Stück Fleisch, aber das Willkommen fiel sowohl mager als auch trocken aus. Gekochte Kartoffeln mit Öl und trockenes Brot paschtunischer Art. Obwohl ich riesigen Hunger hatte, wurden die Kartoffeln und das Brot immer mehr in meinem Mund. Aber das Paradies, das wartete eben hinter all dem.

Als ich nicht mehr ganz so verbeult aussah, ging ich wieder in die Schule. Mit Kopftuch. Und das, das war ganz schön hart. Die anderen tuschelten hinter meinem Rücken und die Lehrer rollten insgeheim mit den Augen. Aber irgendwie führte gerade das dazu, dass ich es erst recht trug. Mit dem Kopftuch, das war ohnehin so eine Sache. Natürlich gab es die Mädchen, deren Eltern sie zwangen, es zu tragen, obwohl sie das gar nicht wollten. Und dann gab es noch diejenigen, die es schick fanden und denen es ansonsten nichts bedeutete. So eine Art Pop-Islam. Und dann gab es noch Mädchen wie mich, die von niemandem gezwungen wurden, die es auch mal wegließen, aber meistens eben nicht, weil sie es gerne trugen. Manchmal war ein bisschen Trotz dabei, aber da war noch was anderes. So pervers das klingt, aber das Kopftuch macht dich als Frau fast unsichtbar, lässt die Person hinter der Frau jedoch umso klarer hervortreten. Zwar gibt es viele, die es dann vorziehen, überhaupt nicht mehr mit dir zu reden, aber die, die es tun, die sprechen mit dir und nicht mit deinem Körper.
    Ab und zu bekam ich auch Droh-SMS, die aus der Bruderschaft kamen. Ich wurde verflucht und alle Qualen der Hölle wurden mir aufgelistet, und gewarnt wurde ich, dass ich bloß aufpassen sollte, wenn ich alleine auf die Straße ging. Ich löschte sie einfach. Ein bisschen mulmig war mir schon, aber ich dachte ja gar nicht daran, mich einschüchtern zu lassen.
    Nach ein paar Wochen setzte bei den anderen die Gewöhnung ein und die Erkenntnis brach sich Bahn: Romea ist Romea, ob mit oder ohne Tuch. Und dafür war ich dankbar. Trotzdem war es hart. Durch die ganze Schwänzerei wegen Julian und das Leben in der Bruderschaft hatte ich über ein halbes Jahr Stoff verpasst und das war ganz schön viel. Ich büffelte wie doof und nebenbei versuchte ich noch drei Dinge auf einmal: herauszufinden, wer ich wirklich war, Julian zu vergessen und Leute zu finden, die an Allah glaubten, aber nicht gehirngewaschen waren. Und

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