Djihad Paradise: Roman (German Edition)
das war alles gar nicht so einfach.
Es war mir bisher gar nicht so klar gewesen, wie viele unterschiedliche Strömungen des Islam es gab. Da waren auf der einen Seite die Ultrakonservativen, die Islamisten und die extremen Islamisten, zu denen es Julian und mich verschlagen hatte, und auf der anderen Seite diejenigen, die Politik und Religion strikt trennten, für die Religion Privatsache war. Und dazwischen gab es alle möglichen Schattierungen. Doch nach ganz langem Suchen fand ich den Liberal-Islamischen Bund und fühlte mich dort bestens aufgehoben. Hier ging es nicht darum, die Geschlechter zu trennen und die Deutung des Korans von anderen vorgesetzt zu bekommen. Hier gab es den Djihad nur in Gestalt der eigenen Anstrengung, um zu Gott zu gelangen, und nicht in der Form, dass alle Ungläubigen minderwertig waren. Du konntest Kopftuch tragen oder nicht. Darum ging es überhaupt nicht. Es ging nur darum, privat seinen eigenen Weg zu Gott zu finden. Schluss. Und das ist ja auch schon schwer genug.
Abu Said, ein Sufi-Meister, hatte einmal gesagt: »Es ist leichter, einen Berg an einem Haar herumzuschleppen, als sich mit eigener Kraft aus sich selbst zu befreien.« Und genau darum ging es doch. Und um sonst nichts weiter.
Es dauerte ein paar Tage, bis wir herausbekamen, in welcher Gruppe wir überhaupt ausgebildet wurden. Ich hatte gehofft, dass wir zur DTM, den Deutschen Taliban Mudjahedin, kommen würden, aber da wir die einzigen Deutschen waren, konnten wir das schon einmal ganz sicher ausschließen und vermuteten, dass wir bei Al-Qaida gelandet waren, aber dann kamen uns Zweifel, weil wir Al-Qaida für professioneller hielten und glaubten, dass uns die IJU, die Islamic Jihad Union, aufgenommen hatte.
Wir teilten unsere Höhle mit noch zwei anderen Jungs. Der eine, Hamid, war Afghane und der andere, Ahmad, war Brite mit tunesischen Wurzeln. Die beiden lachten sich schlapp, als wir ihnen von unserer Theorie erzählten.
»Die IJU, seid ihr bescheuert? Die IJU ist eine Marionette des usbekischen Geheimdienstes. Seid froh, dass ihr da nicht seid. Die verheizen ihre Leute, damit sich Usbekistan vor dem Westen als großer Terrorbekämpfer aufspielen kann. Spirituell ist da nichts, wirklich nichts dahinter«, sagte Ahmad mit seinem wirklich sehr britischen Akzent. Sein Vater sei Diplomat und ein Arschloch, der sich sein ganzes Leben dem Westen angedient habe und seine Mutter eine Schlampe, ein männerverschlingendes Ungeheuer. Er spuckte aus. »Aber ich, ich werde die Ehre meiner Familie wiederherstellen«, verkündete er und grinste. Dann deutete er stolz auf eine schwarze Flagge mit weißer Schrift, die er über seinem Lager gehisst hatte. »Das ist übrigens die IMU, oder, wie ihr Deutschen sagt, die IBU, die Islamic Movement of Uzbekistan«, fügte er noch hinzu. »Da habt ihr eine gute Wahl getroffen, alle anderen sind nämlich echte Vollnieten.«
Ahmad war echt o.k., aber Hamid war ein Schleicher. Er tat zwar immer so, als verstünde er so gut wie kein Englisch und als spräche er auch überhaupt kein Arabisch, sondern nur Paschtun, aber irgendwie glaubte ich ihm das nicht. Und Ahmad war sich auch ganz sicher, dass Hamid ein Spitzel der Ausbilder sei, um zu überprüfen, ob wir auch wirklich die richtige Gesinnung hätten und in Wirklichkeit nicht selbst als Spitzel anderer Splittergruppen geschickt worden wären. Mich verblüffte und erstaunte es, dass es so viele unterschiedliche Gruppen gab, und vor allem, dass sie sich gegenseitig bekriegten. Schließlich gehörten wir doch alle zur Umma.
Was unseren Alltag betraf, so waren die ersten Tage noch wahnsinnig spannend, aber dann war es bald nur noch ein Wettlauf gegen die ständige Erschöpfung. Was mich ziemlich enttäuschte, war die Tatsache, dass das Gebet und die Religion hier nur eine sehr geringe Rolle spielten. Gut, man betete ab und zu zusammen, aber ansonsten ging es den ganzen Tag nur ums Militärische. Noch vor Sonnenaufgang wurden wir geweckt und dann begann der Theorieunterricht à la Was-ist-ein-Mörser, Wie-bediene-ich-ihn, Woran-erkenne-ich-eine-Drohne, Womit-kann-ich-sie-bekämpfen, Wie-lade-ich-eine-Kalaschnikow und so weiter und so weiter. Das ging etwa anderthalb Stunden und dann war der Praxisteil angesagt. Schon am ersten Tag kam ich beinahe an meine Grenze. Während die zehn anderen Jungs, die noch mit uns im Ausbildungslager waren, den Berg hoch und runter joggen mussten, hielt uns Ehsanulla zurück und deutete auf einen Korb, der mit
Weitere Kostenlose Bücher