Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
längst ausgebrannt: Ein Fremdarbeiter gab den Alliierten 1945 den Hinweis, die Gegend ums Schloss umzukrempeln. Stalins Rotarmisten waren die Schnellsten: Im Keller fanden sie, was sie suchten. Hinter einem Schrank – und einer frisch verputzten Wand: 50 Gemälde, fast 2.000 Aquarelle und Zeichnungen, 3.000 Grafiken. Beinahe das gesamte Inventar der Bremer Kunsthalle, das wegen der Bombenangriffe ausgelagert worden war. Van Gogh, Tizian, Cranach, Rubens, Raffael – alles dabei! Und was tun diese Idioten? Haben keine Ahnung von Kunst und schänden die Werke! Sina, stell dir vor: Diese Soldaten haben die Bilder zerknittert, zerrissen, einfach in die nächstbeste Pfütze geworfen! Nur die Aktmalereien haben sie eingesteckt. Wohl, um sie als Pin-ups in ihren Spind zu hängen. Diese Bastarde haben unsere alten Meister sogar als Toilettenpapier benutzt!«
Sina rückte näher an ihre Freundin und wollte sie beruhigen: »Du hast ja schon hektische Flecken im Gesicht! Reg dich nicht so auf! Woher sollten die armen Teufel denn wissen, mit was für Kostbarkeiten sie sich den Hintern abgewischt haben? Sie haben Gold und Silber und vielleicht noch ein paar Orden erwartet – aber bestimmt keine Bilder. Die waren in ihren Augen nur Plunder, nichts als belanglose Pinseleien.«
Gabi fand ihre Fassung wieder. »Hast ja recht. Das waren arme Schweine. Waren wahrscheinlich froh, dass sie den Krieg überhaupt überlebt hatten. Was sollten die in ihrer Lage mit Schöngeistigem anfangen?«
»Na bitte, Gabi. Aber nun würde mich langsam mal interessieren, was von dieser Liste nicht überholt ist. Oder willst du dich weiter in vertanen Chancen aalen?«
Sinas letzte Bemerkung baute Gabi auf: »Ja … natürlich, das stimmt. Es war eine etwas übertrieben lange Einleitung …«
»Ich bin es nicht anders von dir gewohnt. Solange du mir nicht auch noch mit Görings privatem Gemäldelager im Salzstollen am Altaussee kommst.«
Gabi schüttelte den Kopf und griff sich einen weiteren Zettel. »Hier. Das ist der Schlüssel.« Sie reichte ihn Sina. Wieder eine Skizze, wieder eine Liste mit Namen und Zahlen.
Sina versuchte, die verlaufene Schrift zu entziffern: »Ve… Verm… – nein, doch nicht etwa …«
Gabi unterbrach sie: »Doch, genau der: Jan Vermeer van Delft! Meiner Meinung nach im gleichen Atemzug zu nennen mit Rubens und Rembrandt. Zumindest sehe ich das als Expertin so.«
Sina studierte das Papier eingehend. Wo war der Haken an der Sache?, fragte sie sich. Irgendetwas musste hier doch wieder faul sein. Sie las Zeile für Zeile, vermied es, zu Gabi aufzusehen. Dann entdeckte sie, was sie gesucht hatte. »Du, Gabi, hast du auch registriert, wo deine Vermeers von den Nazis versteckt worden sind?« Gabi druckste herum. »Gabi! Da steht ›Usedom ‹ . Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ziemlich weit im Osten. Kurz vor Polen. Das klingt mir verdammt nach Führerhauptquartier. Wer weiß, hinter was für meterdicken Stahltüren deine ollen Schinken da liegen.«
Gabi schnaufte ärgerlich. »Quatsch, von wegen Führerhauptquartier. Usedom ist an der Küste. Hat nichts zu tun mit der Wolfsschanze.« Sie kramte in ihrem Gedächtnis nach den wenigen Brocken Wissen, die sie über dieses neue Ziel im Kopf hatte. Viele waren es nicht. »Usedom, das ist die Raketeninsel. Da haben die Nazis mit zu groß geratenen Feuerwerkskörpern experimentiert, wenn mich nicht alles täuscht.« Sie legte eine Pause ein, bevor sie in aufmunterndem Tonfall weitersprach: »Und außerdem, Kind: Du bist doch bisher mit jeder Tür und jedem Schloss fertig geworden. Oder habe ich etwa nicht recht?«
Sina schluckte den Köder. Sie hatte angebissen, ihre Neugierde war geweckt.
9
Gabrieles grauer VW-Bus raste über die Landstraße. Der schmucklose Kastenwagen fügte sich nahtlos in das Landschaftsbild: regenverhangener Himmel, kahle Bäume am Fahrbahnrand, eine von Frostschäden gezeichnete Asphaltdecke. Ein Gemälde in Grautönen, wie es Sina empfand, freudlos und nicht wirklich optimistisch stimmend. Gabi trat das Gaspedal fast bis zum Anschlag durch. Sie holte aus dem sieben Jahre alten Motor, der hinter ihnen klopfte, heraus, was ging. Seit Stunden starrte sie nun durch die Frontscheibe und vermied den Augenkontakt mit ihrer Beifahrerin. So kannte Sina ihre Freundin: stur ein Ziel verfolgend. Nichts konnte sie in solchen Momenten ablenken. Bereits kurz vor Berlin hatte sie ihr angeboten, das Steuer zu übernehmen. Gabriele hatte darauf nicht einmal
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