Doberstein & Rubov 01 - Feuerfrauen
geantwortet. Auch nach der Tankpause hatte sie sich nicht umstimmen lassen: Nein, sie wollte die Tour allein zu Ende bringen. »Das ist völlig unvernünftig«, hatte Sina sie umzustimmen versucht. »Du hast schon ganz rote Augen. Und deine Haare hängen total schlaff herunter. Bei dir kräuselt sich fast kein Löckchen mehr. Selbst die sind müde, Gabi.« Nein, nicht einmal ein sanftes Lächeln erntete Sina für diese gut gemeinten Worte. Nichts half. Gabriele blieb eisern und klemmte sich wieder hinters Steuer. Sie wollte Wolgast noch am selben Tag erreichen. Unbedingt!
Der Kleinbus preschte weiter durch Pfützen und über Bodenwellen. Im Laderaum befanden sich etliche, noch zusammengefaltete Umzugskartons, ein Schweißgerät, zum Teil zerschlissene Seile, Grubenlampen, mehrere bereits beschädigte Werkzeugkisten. Sina hatte eine ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogene Landkarte auf ihren Knien ausgebreitet. Offenbar umsonst. Ihre Freundin hatte sie bisher nicht ein einziges Mal nach einem Autobahnkreuz, einer Abzweigung oder wenigsten nach einem Ortsnamen gefragt. Gabriele musste sich die Strecke in den zwei Tagen vor ihrer überstürzten Abreise aus Nürnberg genauestens eingeprägt haben. Frustriert zog sich Sina den Kopfhörer ihres Walkman auf. Das hätte sie wohl längst tun sollen: Sina hatte nicht einmal eine Kassette ausgewählt, da trat Gabi unvermittelt in die Bremsen. Ihr Walkman fiel mitsamt der Landkarte in den Fußraum.
»Rechts, links, geradeaus?« Sie hatten an einer Kreuzung gehalten. Kein anderes Auto war weit und breit zu sehen. Die Wegweiser an der gegenüberliegenden Böschung waren vom Spritzwasser völlig unleserlich. Gabi wandte sich ihrer Freundin zu: »Ich habe gefragt, wohin ich fahren soll. Rechts, links oder geradeaus?«
Sina war für einen Augenblick perplex. Sie dachte daran, den Hörer vom Kopf zu reißen und sofort in der Karte nachzuschlagen. Aber – nein! Wer war sie denn? Gabi konnte nach dem stundenlangen Schweigen nicht von ihr erwarten, dass sie widerspruchslos parierte. Betont langsam bückte sie sich, hob aber nicht die Landkarte auf, sondern den Walkman. Sina schnappte sich eine Kassette mit Uraltsongs von Billy Idol, schob sie in den Apparat und drehte den Ton auf Maximum.
Gabi warf ihr einen finsteren Blick zu. Hinter ihrem VW hatten sich inzwischen zwei andere Wagen eingereiht. Sie sah die ungeduldigen Blicke eines Fahrers durch den Rückspiegel. »Wohin?« Gabis Ton war aggressiv.
Sina ließ sich nicht stören, schloss sogar die Augen. Provozierend machte sie nur: »Hm?«
Gabi klopfte erbost auf das Lenkrad. Hinter ihrem Kastenwagen begann bereits ein verhaltenes Hupkonzert. »Sina! Wohin muss ich?«
Sina schlug die Augen nicht auf und summte weiter vor sich hin.
Einer der wartenden Wagen hatte inzwischen zum Überholen angesetzt. Er manövrierte rückwärts und zog dann hupend an Gabis VW vorbei. Gabriele wurde immer gereizter: »Was soll der Unsinn? Bist du nun mein Lotse, oder soll ich das etwa auch noch allein machen?«
Sina ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich versteh überhaupt nichts.«
Dann fuhr auch das andere Auto an ihnen vorbei. Eine junge Frau mit einem Kind auf dem Rücksitz zeigte den beiden einen Vogel. »Unverschämt!«
Gabi war kurz davor, ihre hektischen Flecken zu bekommen. Wütend riss sie ihrer Freundin den Hörer herunter.
»Ach?« Sina reagierte gespielt überrascht. »Nimmst du mich also doch noch wahr?«
Gabi stierte sie böse an: »Was soll der Mist? Wieso sollte ich dich nicht wahrnehmen?«
»In den letzten sechs oder sieben Stunden hast du’s jedenfalls nicht getan.« Gabi hatte sichtlich Mühe, ihre Beherrschung nicht vollends zu verlieren. Sina merkte das und lenkte ein. In beschwichtigendem Tonfall sagte sie: »Ja, ja, schon gut. Du hast Glück, dass ich so ein Harmonie liebender Mensch bin. Sonst hätte ich es wirklich mal drauf ankommen lassen.« Sina bückte sich nach der Karte und hatte die richtige Seite im Nu aufgeschlagen. »Nach rechts.«
Der Motor heulte auf, als Gabi den Gang eingeworfen hatte. Der Wagen setzte sich jaulend in Bewegung.
»Nein, nein! Halt! Doch nach links. Wir müssen nach links!« Sina ruderte aufgeregt mit den Armen.
Gabi legte eine Vollbremsung hin. Wieder flogen Karte und Walkman in den Fußraum.
»Gut, dass hier so wenig Verkehr ist.« Sina war ganz bleich um die Nase.
Gabriele wendete auf der schmalen Trasse und fuhr dann mit Karacho in die entgegengesetzte Richtung.
Von
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