Doch die Sünde ist Scharlachrot
niemanden, den ich fragen könnte, verstehst du? Also frage ich dich, denn soweit ich sehe, ist das meine einzige Möglichkeit. Ich schätze, ich will dich um Hilfe bitten, Granddad.«
Na endlich!, dachte er. Endlich kamen sie zum Kern der Sache. Das war der Moment, auf den ihre Eltern gehofft hatten. Die Zeit bei ihrem Großvater machte sich zu guter Letzt bezahlt. Er wartete, gab einen Brummlaut von sich, um ihr zu signalisieren, dass er gewillt war, ihr zuzuhören. Die Sekunden verrannen, während sie sich Casvelyn näherten. Doch sie sagte nichts mehr, bis sie in die Stadt kamen.
Und dann machte sie es kurz. Er hatte den Wagen bereits am Straßenrand vor dem Clean-Barrel-Surfshop abgestellt, als sie endlich den Mund aufmachte. »Wenn ich etwas weiß …«, begann sie, den Blick starr auf die Ladentür gerichtet. »Und wenn das, was ich weiß, jemanden in Schwierigkeiten bringen könnte … Was mache ich dann, Granddad? Das ist es, was ich Gott gefragt habe, aber er hat nicht geantwortet. Was soll ich nur tun? Ich könnte weiterfragen, denn wenn jemandem, den man gernhat, etwas Schlimmes passiert, dann scheint es …«
»Der Kerne-Junge«, unterbrach er. »Weißt du etwas über diese Sache, Tammy? Sieh mich an, Kind, nicht aus dem Fenster!«
Sie wandte sich zu ihm um. Sie war wesentlich verstörter, als ihm bis jetzt klar gewesen war. Also konnte es nur eine Antwort geben, und trotz der Komplikationen, die diese Antwort für sein eigenes Leben bedeuten könnte, schuldete er sie seiner Enkelin.
»Wenn du etwas weißt, musst du es der Polizei sagen. Und zwar noch heute.«
12
Sie war eine hervorragende Dartspielerin. Das hatte Lynley am Abend zuvor herausgefunden und es unter den mageren Informationen abgespeichert, die er bislang über Daidre Trahair hatte sammeln können. Sie hatte an der Rückseite ihrer Wohnzimmertür eine Dartscheibe aufgehängt, was ihm bislang entgangen war, weil sie diese Tür immerzu offen stehen ließ, statt sie gegen den eisigen Wind zu schließen, der aus der Diele hereinwehte, wenn jemand das Cottage betrat.
Er hätte wissen müssen, dass er in Schwierigkeiten steckte, als sie mit einem Maßband eine Entfernung von exakt 2,37 Metern bis zur geschlossenen Tür ermittelt und an der entsprechenden Stelle einen Schürhaken auf den Boden gelegt hatte, den sie Oche nannte. »Okeeeh?«, hatte er verwirrt wiederholt, und sie hatte erklärt: »Das Oche ist die Wurflinie, hinter der die Spieler stehen, Thomas.« Da schwante ihm zum ersten Mal, dass er sich womöglich ein bisschen zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte. Aber wie schwierig kann es schon sein?, hatte er sich beruhigt und war wie das Lamm zur Schlachtbank gegangen, als er einem Spiel namens 501 zustimmte, von dem er nicht die geringste Ahnung hatte.
»Gibt es dafür irgendwelche Regeln?«, hatte er sich erkundigt.
Sie hatte ihn mit einem missfälligen Blick traktiert. »Natürlich gibt es Regeln. Es ist ein Spiel, Thomas.« Und sie hatte es ihm erklärt. Sie begann mit der Dartscheibe, und er verlor fast augenblicklich den Faden, als sie von Treble- und Double-Ringen sprach und ausführte, was es für seinen Punktestand bedeutete, wenn sein Pfeil dort auftraf. Er hatte sein Leben lang angenommen, wenn man in der Lage sei, das Bull's Eye zu identifizieren, wüsste man genug über Darts – aber schon nach wenigen Augenblicken war er hoffnungslos verwirrt.
Es sei ganz einfach, versicherte sie. »Wir beginnen beide mit einem Punktestand von jeweils fünfhunderteins. Ziel ist es, diesen Punktestand auf null zu reduzieren. Wir werfen je drei Darts. Ein Bull's Eye zählt fünfzig Punkte, ein Bull fünfundzwanzig, und alles im Double- oder Treble-Ring bringt das Doppelte beziehungsweise Dreifache der dem Segment zugewiesenen Punktzahl. So weit klar?«
Er nickte. Er hatte nur eine nebulöse Vorstellung, wovon sie eigentlich sprach, aber er war überzeugt: Selbstvertrauen war der Schlüssel zum Erfolg.
»Gut. Wichtig ist noch, dass der letzte Wurf in einem Double oder im Bull's Eye landen muss. Und wenn Ihre Punktzahl auf eins oder unter null geht, ist die Runde ungültig, und der andere Spieler ist an der Reihe. – Kommen Sie noch mit?«
Er nickte wieder. Inzwischen war er zwar noch verwirrter, aber wie schwierig konnte es denn sein, eine Dartscheibe aus weniger als drei Metern Entfernung zu treffen? Außerdem war es ja nur ein Spiel, und sein Ego war stabil genug, um unbeschadet zu bleiben, sollte sie gewinnen. Denn dem
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