Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
Vom Netzwerk:
jüngeren Jahren gewesen?«
    »Soldat war ich, nachdem ich vorher auf dem Land gearbeitet habe. Klärgruben ausgehoben, probegeschissen und weitergegraben. Bis alles stimmte. Danach Soldat, wie ich ja schon sagte. Und danach …«
    Boff spürte die Unruhe, die ihn erfasste, wenn ihn das Schicksal mit umständlichen Zeitgenossen zusammenbrachte. Er kehrte in die Praxis zurück, wo Stine alles wissen wollte. Sie wollte so viel wissen, dass er ihr Dinge erzählte, die sich gar nicht abgespielt hatten. Aber sie hörte so gerne zu. Im Gegensatz zu Hermine. Die verließ nach den ersten Worten knurrend den Raum. Es klang wie »Ich habe meine Zeit nicht in der Lotterie gewonnen.«
    An diesem Tag betrat keine Patientin die Praxis. Seit langem war Boff kein Tag mehr so lang vorgekommen. Als er Stine nach Hause schickte, standen der treuen Seele Tränen in den Augen.
    »Es ist nicht alles vorbei«, munterte Boff sie auf. »Es kommen bessere Zeiten. Morgen schon, du wirst es sehen.«

8
    Klopfen an der Tür holte ihn aus dem Schlaf. Dem Mann sah man an der Nase an, dass es sich um einen Boten handelte. »Seid Ihr der neue Stadtphysicus? Der Vertreter von Tänzer? Seid Ihr so erfahren und belesen wie Tänzer? Könnt Ihr so gut zuhören wie …?«
    »Was seid Ihr? Seid Ihr ein fahrender Komödiant, der auf dem Marktplatz seine Litanei herunterbetet? Gebt mir das Schreiben und verabschiedet Euch.«
    Er übergab das Schreiben. Aber er bestand darauf, eine Antwort mitzunehmen. Er ließ nicht mit sich reden. Immerhin akzeptierte er den kalten Braten. Er aß zu schnell und kaute zu laut, man hörte ihn bis in den Nebenraum, wo Boff las und sich zum Schreiben niedersetzte.
    Sie nannte sich Fürstin, aber es wurde nicht deutlich, wie der Fürst hieß und wie die Zusammenhänge waren. Sie fürchtete sich vor der Nacht, die Schatten brachte. Die Schatten sprachen miteinander und manchmal richteten sie das Wort an die Fürstin. Die verstand die Frage und wollte antworten. Mund, Zunge, Lippen formten die Wörter, aber es kam nichts dabei heraus.
    »Was erwartet Ihr von mir?«, schrieb Boff. Wollt Ihr, dass die Schatten verschwinden? Oder wollt Ihr, dass ich Euch die Sprache der Schatten lehre? Bitte untertänigst um Nachricht.«
    Ihm war bewusst, dass er auf dünnem Eis wandelte. Aber er wollte am Anfang ein Zeichen setzen. Er war kein Hampelmann, von Katarina Tänzer wusste er, dass ihr Mann regelmäßig zu den wichtigen Damen gefahren war, auch mehrmals am Tag, auch abends, sogar mitten in der Nacht. Aber er war kein Befehlsempfänger gewesen, obwohl er in der ersten Stunde nichts anderes getan hatte als die vorher eingeholte haarsträubende Diagnoseeines Heilers kurz und klein zu reißen. Mit einer der Damen lebte er in langer Fehde und tat so, als wolle er die Feindschaft nicht mehr missen. Mit allen anderen verband ihn Respekt. Sie riefen ihn, weil sie ihn schätzten und von ihm Hilfe erfuhren. Sie waren Frauen von Stand, sie durften, was sie taten, und legten Wert darauf, es den Medicus spüren zu lassen. Der Rest an Ungleichheit würde nie vergehen, und Tänzer war nicht der Mann, von einer neuen Gesellschaft zu träumen, in der der Arzt mit dem Adel am selben Tisch saß. Aber er war ein Kenner des menschlichen Körpers und vor allem des weiblichen. Er kannte die Verbindungen zwischen den Organen und dem weiblichen Denken. Er wusste, dass kein weiblicher Körper zu heilen war, wenn es dem Doctor nicht gelang, mit der weiblichen Psyche ins Gespräch zu kommen. Er war ein hinreißender Zuhörer, und nur seiner Katarina hatte er in einer schwachen Minute gestanden. »Ich kann mit offenen Augen schlafen.«
    Manchmal hatte sich Tänzer gewünscht, die Frauen würden über zwei Münder verfügen: einen für das alltägliche Geplapper mit allen Belanglosigkeiten; einen für substanzielle Gespräche mit Doctor, Pastor, Ehemann, in denen jedes Wort wie gewaschen, geputzt und geschliffen hervorkäme und jeder Satz das Zwiegespräch ein Stück voranbrachte. Tänzer hatte zwei Jahrzehnte gebraucht, bevor er seiner Katarina von dieser Vision erzählt hatte. Sie hatte gelacht, als sie sein eingeschüchtertes Gesicht erblickt hatte, und ihm damit eine Last von der Seele genommen.
    Boff wusste nichts von der Zwei-Münder-Vision seines Amtsvorgängers. Aber am folgenden Tag lernte er die Fürstin Bengtsson kennen, Gemahlin eines Mannes, der in reifen Jahren die Leidenschaft für den Ackerbau entdeckt hatte und seitdem im hinteren Pommern unerhörte

Weitere Kostenlose Bücher