Doctor Boff - Weiberkranckheiten
den Raum verließ, verlangte kategorisch, dass die Anschuldigungen des Grafen Argus nicht weiter verfolgt würden, weil es sich um ein Komplott handelte. Der General stürmte aus dem Raum und verließ, ohne ein Wort zu sagen, das Rathaus. Seine Leiche würde man im Morgengrauen des folgenden Tages am Ufer der Saale finden. Die Kirchenvertreter reichten ihren sofortigen Rücktritt ein, einer verließ noch in der Nacht mit Frau und Kindern die Stadt, um nie mehr zurückzukehren.
»Mann Gottes, was läuft da ab?«, fragte der Arzt Wünsch.
Es war Galgen-Dosse, der als Einziger die Frage beantwortete. Der Stadtphysicus hatte ihn mit allen Rechtsbeugungen konfrontiert, die Dosse sich im Verlauf der letzten Jahre geleistet hatte. Angeblich hatte er keine einzige ausgelassen, was bei insgesamt sechzehn Durchstechereien keine geringe Leistung war. Boff hatte angekündigt, diese Liste öffentlich zu machen, wenn er nicht bis zum nächsten Morgen freigelassen und von jedem Verdacht entlastet worden sei. Auf Kanälen, die nicht verfolgt werden konnten, erfuhr man, warum der Kirchenmann aus Halle geflüchtet war. Jedermann hatte Verständnis für ihn. Die Alternative wäre Zuchthaus bis zu seinem Tode gewesen. Alles sah danach aus, als ob Boff jeden einzelnen Beamten und Würdenträger mit Geheimnissen konfrontiert hatte, die diese Personen ihre Karriere kosten und ihren Ruf für alle Zeiten ruinieren würden – falls Boff sie tatsächlich öffentlich machen würde.
Erneut wurde getagt, hektisch und mit unübersehbaren Anzeichen von Resignation. Alle wussten, dass Boff mit den skandalösen Informationen von einem Unbekannten versorgt worden war. Er selbst konnte sich unmöglich in so kurzer Zeit so viele Geheimnisse erarbeitet haben. Das überstieg die Kräfte eines Menschen. Wer hatte ihn mit dieser Munition ausgestattet? Wer konnte so viele unappetitliche, schmutzige und kriminelle Delikte kennen? Warum war das alles so lange geheim geblieben? Man war in Halle, hier hatten die Wände Ohren. Angeekelt, aber auch fasziniert, gab man sich Vermutungen hin, was wohl diejenigen auf sich geladen hatten, von denen man bisher gar nichts wusste.
Man holte Boff in die Runde, nannte ihn Lügner, Verleumder, Denunziant.
Seelenruhig sagte er: »Die Uhr läuft. Morgen früh Punkt acht wird die Sache öffentlich. Morgen früh Punkt neun werden die Bürger Euer Rathaus niederreißen.«
Der Arzt Sattler wurde in eine winzige Runde berufen, sie bestand nur aus drei Personen. Er musste peinigende Fragen beantworten. Solange wie möglich leugnete er, log und bestritt. Das fiel ihm leichter als es ihm vor einem Jahr gefallen wäre. Man stellte ihm vor Augen, dass seit dem gescheiterten Nervenkrieg gegen die Fürstin Bengtsson weit entfernte Städte von den Kabalen in Halle Kenntnis erlangt hatten. Man dürfe sich keine neue Pleite erlauben, die Welt würde auf Halle schauen.
»Na gut«, knurrte Sattler, »dann eben nicht. Einen Versuch war es wert. Mir geht der Kerl genauso auf die Nerven wie Euch. Diese saubere Moral, dieser edle Charakter. Dabei sagt mir doch schon die Narbe, dass ihm nicht zu trauen ist. Kein seriöser Mensch hat so eine Narbe.«
Er versprach, den Fund des Silberschatzes zu stoppen. Mehr müsse man gar nicht tun. »Kein Silberschatz, keine Klage gegen den Stadtphysicus.«
In Begleitung eines Kollegen ging Sattler zum Haus hinüber, in dem der Stadtphysicus wohnte und praktizierte. Der Kollege stand unten Schmiere, während Sattler ins Dachgeschoss hinaufschlich. Er legte ein Ohr an die Tür der Kemenate, hinter der die Hebamme hausen sollte. Dann betrat er den weitläufigen Dachboden. Hinter der lockeren Steinreihe war das Silber versteckt worden, der Graf hatte eindringlich darum gebeten, es unversehrt zurückzubekommen. Das war nun nicht mehr sicher, denn das Fach war leer. Sattler erstarrte, sein Rücken wurde eisig. Hinter ihm entstand ein leises Geräusch, Sattler sprang auf und lief auf das Geräusch zu. Jemand stürmte die Treppe hinunter, Sattler hinterher. Eine Tür schlug zu. Sattler trommelte mit den Fäusten gegen die Tür und trat dagegen, er raste vor Zorn, wollte nicht ständig den Ereignissen hinterherrennen. Er wollte in die Offensive gelangen und sich nicht von Bürokraten aus dem Rathaus befehlen lassen, was zu geschehen habe und was nicht. Er wurde immer zorniger, warf sich gegen die verdammte Tür. Die Schulter schmerzte, an anderen Tagen hätte er jetzt aufgehört. Aber er wollte es wissen und
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