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Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Doctor Boff - Weiberkranckheiten

Titel: Doctor Boff - Weiberkranckheiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Norbert Klugmann
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Medizin. Das sei eine Wahrheit, die durch Verbote nicht unwahr werde. Was Halle verbieten wolle, solle man tun, solange es sich im Machtbereich Halles abspiele. Die Fürstin Bengtsson war frei in ihren Entscheidungen, solange sie sich nicht gegen Leib und Leben und geltendes Recht versündige. Das sei, soweit er sehe, nicht der Fall. Die Ära der Inquisition sei schaurige Vergangenheit. Halle solle aufpassen, der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen sei klein und werde meist erst realisiert, wenn das Land von Gelächter widerhalle. Mehrere Städte zwischen Oder, Weser und Main würden in diesen Tagen darüber nachdenken, ob man den in Halle nicht mehr erwünschten medizinischen Sachverstand in die Mauern der eigenen Gemeinde holen solle. Konflikte zwischen alter und neuer Medizin gäbe es überall, nirgendwo handhabe man diesen Konflikt so ungeschickt wie in Halle.
    Zuletzt sprach Boff in die blass gewordenen Gesichter am Tisch: »Bisher habe ich mich zurückgehalten. Das geschah aus Respekt vor meinem Amtsvorgänger und weil ich neu in Halle bin. Nun stellt sich heraus, dass Halle keine Zeit hat, seinen alten Stadtphysicus auf würdige Weise unter die Erde zu bringen. Das ist in höchstem Maße peinlich und wird auf Halle zurückschlagen. Ab heute gilt nicht nur das Wort des amtierenden neuen Stadtphysicus, ab heute wird meine Amtsführung auch meine Handschrift tragen. Zusammengefasst bedeutet das für Euch: Ihr werdet nicht mehr so viel Freude mit mir haben wie bisher. Für mich bedeutet das: Es gilt der Buchstabe meiner Pflichten und Rechte. Ich wiederholte: Pflichten und Rechte. Ihr könnt sie nachlesen, falls Ihr sie nicht verräumt habt, was ich nicht ausschließen will. Der Bote Lewerkühn wird sie Euch bei Bedarf gern ins Rathaus tragen. Es gilt, was immer galt: Ichbin für die Menschen und die medizinische Versorgung der Stadt da und nicht für Interessengruppen, die das Gemeinwohl nicht einmal im Ansatz abbilden. Sie behaupten dies übrigens auch gar nicht. Diese traurige Pflicht habt Ihr übernommen, ohne Not lasst Ihr Euch vor einen Karren spannen, der Euch zielstrebig an ein Ziel bringen wird, das Ihr nicht sehen wollt. Halle hat meine ungeteilte Solidarität. Aber wie gesagt: Pflichten und Rechte. Und zuerst kommen die Menschen. Nun muss ich arbeiten gehen, meine Arbeit spielt sich nicht zwischen Federkiel und Akten ab. Ich bin mit dem Leben befasst. Wohlsein!«

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    Das verziehen sie dem Boff nicht. Dazu hatten zu viele Ohren gehört, wie er den Rat angegriffen hatte. Die Ohren hatten auch gehört, dass niemand ihm widersprochen hatte. Wie die Schuljungen hatten sie am Tisch gesessen, die Augen gesenkt, die Hände gefaltet. Es waren unvergessliche und entwürdigende zehn Minuten. Wie hatte man sich in diesem hergelaufenen Doctor so sehr täuschen können? Seit Tagen saßen Experten über den einschlägigen Schriftstücken. Boff hatte die Wahrheit gesprochen, es gab keinen Halbsatz, in den man seine Zähne schlagen konnte. Und die Welt begann über Halle zu lächeln. Aus immer mehr Orten drangen beunruhigende Nachrichten ins Rathaus. Nicht zuletzt Leipzig, die alte Konkurrentin, glaubte, lächeln zu müssen. Man nannte Halle die Stadt, in der die Uhren rückwärts laufen. Man fühlte vor, ob bekannte Kaufleute, Wissenschaftler und Forscher einen Umzug in eine Stadt in Erwägung ziehen würden, in der die Kugelform der Erde anerkannt sei. Man übertrieb es nicht mit den Unverschämtheiten, aber stets behielt man ein mokantes Lächeln im Gesicht, selbst die Schriftstücke strahlten dieses selbstgefällige Grinsen aus. Wo Zeitungen erschienen, präsentierten sie genüsslich die undiplomatische Art der Halleschen Gesundheitspolitik. Dafür hätte man im Rathaus gern den Stadtphysicus verantwortlich gemacht. Aber die Berichterstatter konnten ihre Informationen von tausend anderen Menschen erhalten haben. Händeringend suchte man einen Ansatzpunkt. Natürlich blieb die klassische Taktik: einen ungeheuerlichen Vorwurf aus dem Hut zaubern, dem die Unaufrichtigkeit aus allen Poren quoll. Ein Aufschrei, und der Stadtphysicus würde seinen Rücktritt einreichen müssen, weil es keinen anderen Weg gab, das Gift aus der Atmosphäre zu nehmen.
    Doch so bewährt und oft angewandt diese Taktik war: Die Gesamtwetterlage stand dem entgegen. Boff war nicht der Typ, der über Nacht auf Nimmerwiedersehen verschwinden würde. Etwas anspruchsvoller durfte es schon sein.
    »Ich habe was?«
    »Ihr habt Erna Haustedt falsch

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