Doctor Boff - Weiberkranckheiten
habt«, sagte er, »ich könnte jemand gebrauchen. Fremde Sprachen angenehm, aber nicht italienisch und französisch, darin bin ich selber gut.«
Der junge Mann brannte vor Aufmerksamkeit und sagte kein einziges Wort. Er hatte seinen Traum aufgegeben, weil seine Liebsten ihn brauchten. Größer konnte ein Mensch nicht handeln. Boff mochte ihn immer mehr, aber das Angebot, gemeinsam in der Kutsche zurückzufahren, nahm er nicht an.
47
Halle vibrierte, die erwartungsvolle Spannung war mit Händen zu greifen. Auf den Straßen und Plätzen war es ruhig. Nirgendwo Streit und Aufregung, keine Zusammenrottungen, keine Einzelgänger, die, zu allem entschlossen, Unheil vorbereiteten. Vor den Quartieren einer Handvoll Heiler war es zeitweise laut geworden, aber bevor die Büttel eingreifen konnten, hatten besonnene Bürger ihnen die Arbeit abgenommen. Auf einem Platz am nördlichen Stadtrand hatte ein Zahnreißer seine Dienste angeboten. Schnell saß der erste Patient im Stuhl, eifrig näherten sich die Büttel, um dann verdutzt und amüsiert einer Theateraufführung beizuwohnen. Der Heiler war kein Heiler, seine Instrumente waren keine Instrumente, und der Patient war ein Freund, mit dem er den Streich beim Bier ausgeheckt hatte. Sie sammelten Beifall und Münzen ein und zogen durch die Stadt, wo sie theatralisch Zähne zogen, bevor sich der unvermeidliche Paragraphenfuchser fand, der keinen Spaß verstand. Das Publikum wollte ihn ablenken, er blieb laut und ging allen auf die Nerven. Wäre er nicht gestolpert und von einem Zuschauer auf einen anderen Zuschauer geprallt, bis er nach dem zehnten Stolperer in den Dreck fiel und liegenblieb, hätte er allen noch die Stimmung verdorben.
Aus den Dörfern und Schlössern liefen Nachrichten ein. Die Adligen hatten Quartiere zur Verfügung gestellt, auch die Fürstin Bengtsson. Das erfuhr der Stadtphysicus aber nicht von Rohwedder, der es wissen musste und wahrscheinlich in die Wege geleitet hatte, sondern von einem vorbeipreschenden Reiter. In dem Dorf, das die Heiler mit offenen Armen begrüßt hatte, waren die Brote am späten Vormittag ausverkauft gewesen. Der glückliche Bäcker hatte sich zur Feier des Tages betrunken und war vom Bürgermeister mit Prügeln bedroht worden, wenn er nicht sofort beginnen würde, neue Brote zu backen.
In der Praxis des Stadtphysicus wimmelte es von Patientinnen. Doch die Hälfte von ihnen war nicht gekommen, weil sie sich malade fühlte. Man ging zum Doctor, weil man hier genug Frauen treffen würde, mit denen man sich austauschen konnte. Boff ging zum Wirt, der stieg in den Vorratskeller hinunter und baute eine Tafel auf, an der man sich gratis verköstigen konnte. In Nullkommanichts hatte sich die Praxis geleert – bis auf die, die wegen eines Gebrechens gekommen waren.
Zwei Tage ging das so. In der Stadt blieb es ruhig. Das Spannende fand vor den Toren statt. Die Fürstin Bengtsson kündigte an, ihr Anwesen künftig als Ort zur Verfügung zu stellen, an dem der Wissensschatz der traditionellen Medizin gesichtet und archiviert werden sollte. Die Universität heulte auf. Man war so stolz darauf, die Speerspitze des Fortschritts zu bilden – in diversen Disziplinen, auch und vor allem in der Medizin. Jetzt fühlte man sich kopiert. Eine Delegation fuhr zur Fürstin. Die war nicht zu sprechen und schickte ihren Sekretär vor. Er nannte sich Rohwedder und liebte es, seinen Namen zu buchstabieren, bis es niemand mehr hören mochte. Vielleicht hätte man sich mit der Fürstin friedlich einigen können, aber Rohwedder liebte neben dem Buchstabieren auch das Zuspitzen. Vor allem konnte er es nicht sein lassen, die universitäre Ausbildung von Medizinern »Schulunterricht« zu nennen, während die Kunst der traditionellen Medizin vom Leben geschrieben worden sei. Anstatt die Polemik zu ignorieren, nahm man die Stichelei persönlich. Boff wurde aufs Rathaus zitiert und aufgefordert, den Rohwedder zu maßregeln. Man könne keine Konkurrenz gebrauchen, jetzt nicht und künftig auch nicht, mit einem Wort: nie.
Boff war es leid, den Laufburschen für das Rathaus abzugeben. So stellte er klar. Erstens: Künftig sei er in seiner Praxis und in seiner Wohnung zu sprechen, für mehr sei keine Zeitvorhanden, da er Menschen heilen müsse. Zweitens: In allen Regionen der bekannten und erforschten Welt gäbe es traditionelle Heilmethoden. Die Zahl der Menschen, die ihnen ihr Leben zu verdanken hätten, sei tausendfach höher als die Erfolge der neuen
Weitere Kostenlose Bücher