Doctor Boff - Weiberkranckheiten
behandelt. Und vier weitere Frauen auch. Dass sie noch am Leben sind, ist purer Zufall, für den Ihr dankbar sein solltet.«
Der Arzt Sattler stand vor dem Tisch des Stadtphysicus, der dahinter stand. Sattler hoffte, dass der Tisch eine solide Tischlerarbeit war, die tätliche Angriffe aufhalten würde.
Sattler breitete seine Unterlagen aus, nicht ohne vorher mitzuteilen, dass es sich nicht um Unikate handelte. Boff überflog die Zeilen mit einem Gesicht, als wolle er die Papiere auffressen. Fünf Patientinnen führten Klage. Vier waren angeblich mit Mitteln behandelt worden, die ihr Leiden verschlimmerten. Die fünfte hatte Boff auf Muskelverhärtung behandelt, obwohl sie von einem tollwütigen Fuchs gebissen worden war. Was er hätte erkennen müssen, denn ihre Hände seien dunkelblau gewesen, was sie als Pflückerin von Blaubeeren ausgewiesen hatte. Alle fünf waren im Abstand von zwei Stunden zu Kollegen von Sattler gekommen, um Klage zu führen. Er hatte alles an sich genommen, »bevor weiterer Schaden entstehen kann«, wie er es lächelnd nannte. »Wir Ärzte müssen zusammenhalten. Jeder macht mal einen Fehler, wir sind nicht der Papst. Allerdings sind fünf Fehler … nun ja … Ihr habt viel zu tun, nicht wahr? Könnte es sein, dass Ihr überfordert seid? Dass Euch falscher Ehrgeiz leitet? Dass Ihr das Leben einfacher Menschen nicht ernst nehmt? Ich verstehe das gut, wer schreibt nicht lieber Briefe? Wer trinkt nicht lieber Tee mit einer Baronesse, die über kalte Füße klagt?«
»Raus!«
»Bitte was?«
»Verlasst meine Praxis! Noch habt Ihr die Chance, sie lebendig zu verlassen. In einer Minute könnte das anders sein!«
»Aber Ihr werdet doch nicht …!«
»Ob fünf Fehler oder sechs, das tut nichts zur Sache. Ihr seid ja immer noch hier. Habt Ihr es auf den Ohren? Soll ich einen Blick in Eure Ohren werfen? Erst ins eine, dann ins zweite, zuletzt ins dritte?!«
Sattler floh mit fliegenden Schößen. Boff besprach sich mit Rohwedder, danach mit dem Kollegen Wünsch, den er zuletzt selten gesehen hatte. Er informierte Hermine und sah beruhigt, wie alle drei unverzüglich ihre Kontakte spielen ließen. Auf einen Zettel schrieb er die Namen der Menschen, denen er in Halle vertraute. Er strich alle Namen durch, die ihm in dieser Lage nicht helfen konnten, und betrachtete nachdenklich die Liste.
Vierundzwanzig Stunden nach den Vorwürfen gegen den Frauenarzt Boff traf man sich im Haus des alten Stadtphysicus Tänzer. Die fünf klageführenden Frauen waren anwesend, zwei wirkten selbstbewusst und hielten den Kopf hoch erhoben, die anderen sahen aus, als würde ihnen gleich der Himmel auf den Kopf fallen.
Man hatte sich auf Bernhard Cassian als Leiter der Runde verständigt. Er war gerührt und bedauerte es insgeheim, dass er seiner Rührung nicht stärker Ausdruck verleihen konnte, ohne eitel zu wirken.
»Was wollt Ihr?«, fragte Doctor Boff die Frauen.
Cassian bat darum, die Verständigung ausschließlich über ihn laufen zu lassen.
»In Ordnung«, knurrte Boff. »Fragt die Banditen, was sie wollen.«
Es gab Menschen, bei denen man sich kurz vor dem Triumph wähnte, wenn sie begannen, Funken zu sprühen. Bei Boff war das nicht so. Für einen ertappten Kurpfuscher war er die falsche Besetzung. Und dann gab es ja noch die Frauen. Die zweiSelbstbewussten logen das Blaue vom Himmel herunter. Sie waren deshalb so überzeugend, weil sie das Talent besaßen, ihrer eigenen Unaufrichtigkeit Glauben zu schenken und schwarz für weiß zu halten. Die anderen schwiegen eingeschüchtert, man musste ihnen jedes Wort aus der Nase ziehen. Das sprach nicht gegen sie. Sie hatten sich noch nie in einer vergleichbaren Lage befunden.
Sattler gab den Vertreter der Anklage. Er trug vor, was Kollegen bei der Untersuchung der fünf Frauen herausgefunden hatten. Danach waren Boff Oberflächlichkeit und haarsträubend falsche Diagnosen vorzuwerfen. In zwei Fällen hatte der Irrtum zu kräftigem Durchfall und starken Kopfschmerzen geführt – daran starb man nicht. Die Bemerkung diente angeblich nur der Vollständigkeit. Doch eine der Frauen lebte mit einem Arm, in dem kein Blut mehr floss, was eine Amputation unvermeidlich machte. Die vierte hatte eine Fehlgeburt erlitten, die fünfte klagte seit der Einnahme starker Kräuter über Bilder, die außer ihr niemand sah, und über Geister, die mit ihr sprechen wollten und sie in Todesangst versetzten.
»Meine Güte, Boff, wie wollt Ihr damit leben?«, fragte Sattler
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