Doctor Boff - Weiberkranckheiten
sich auf eine Prügelei freute wie auf ein festliches Essen. Aber es gab keinen zweiten wie ihn, und Rohwedder fürchtete sich insgeheim vor dem Moment, in dem er zeigen musste, wie kräftig er zuschlagen konnte. Seine Messer lagen überall bereit, mit denen war er schnell und fingerfertig, aber er musste den Stich setzen, bevor ihn der erste Hieb treffen würde. Denn ein zweiter Hieb würde nicht nötig sein, das war dem jungen Gelehrten klar.
»Ich bin nicht für Raufhändel gemacht«, vertraute er Boff an.
Schweigend reichte ihm der Stadtphysicus das Schreiben. Der anonyme Schreiber zeigte sich gut informiert. Er ließ durchklingen, dass am fürstlichen Besitz schlagartig Frieden einkehren würde, wenn der Plan eines Zentrums für traditionelle Heilmethoden aus der Welt sei.
»Aber das ist Erpressung!«, rief Rohwedder.
»Sag bloß. Willst du dich für das Projekt schlagen?«
»Wenn ich einknicke, ist das ein Sieg für die Gegenseite. Dann werden sie Blut lecken und vorrücken. Dann werden wir sie nicht mehr stoppen.«
Boff wusste, dass Rohwedders Vorhaben dem sehr nahekam, was sich Boff selbst vorstellte. Eine ordentliche, frei von Vorurteilen und Interessen durchgeführte Probe auf die Fähigkeiten der traditionellen Medizin. Die Übernahme des Brauchbaren und die Beendigung von Hokuspokus. Das Beste vom Alten und das Beste vom Neuen. Und die Medizin mit den zweiBestandteilen offenhalten für die Ergebnisse, die Wissenschaftler an Universitäten in ganz Europa schon lieferten und künftig noch liefern würden. Mit jedem Tag klüger werden. Jeden Tag einen Menschen heilen, der gestern noch gestorben wäre. Endlich den Optimismus in der Medizin verankern; nicht mehr nur das Schlimmste verhindern und in Angst leben, sondern die Krankheiten packen, schütteln und besiegen. Jeden Tag etwas besser.
»Ein Ratschlag wäre schön«, sagte Rohwedder leise.
»Du sollst ihn haben. Gib das Projekt auf. Nicht weil es falsch wäre. Es ist richtig, deine Gedanken und Ziele sind richtig. Aber wir müssen an die Fürstin denken. Weißt du noch, wie schwach und ängstlich sie vor wenigen Wochen war und wie phantastisch sie sich erholt hat? Seitdem die Belagerer am Werk sind, fällt sie in den alten Zustand zurück, es ist eine Frage der Zeit, bis ein Unglück passiert. Ein Diener wird verletzt, ein Feuer wird gelegt, das außer Kontrolle gerät. Dann steht die Fürstin ohne alles da. Das würde sie nicht überleben.«
»Ach, immer die Frauen«, murmelte Rohwedder. »Warum sind sie nur so schwach?«
»Weißt du noch, wie Hermine war, als sie dich in ihrem Bett gefunden hat? War sie da schwach?«
»Hermine ist eigentlich keine Frau.«
»Wie bitte?«
»Ach Ihr. Ihr denkt nur an das eine. Liebe und nackte Körper.«
»Und an was denkst du, wenn ich fragen darf?«
»An die Wissenschaft.«
»Wissenschaft ohne Liebe?«
»Ihr meint, das geht? Tagsüber zu forschen und zu lernen und abends nach Hause zu gehen und da wartet eine Frau, und die will … und ich will … und am Ende … Nein, das macht alles kompliziert.«
»Es könnte schön werden.«
»Ich weiß, man hört das immer wieder.«
»Vielleicht wirst du ein besserer Wissenschaftler, wenn du liebst.«
»Aber was das für Zeit kostet!«
»Rohwedder! Alles, was du sagst, könnte der Papst unterschreiben.«
»Der liebt die Wissenschaft auch. Er braucht nur etwas länger, um zu kapieren, dass man auf Dauer die Wahrheit nicht aufhalten kann. Wären die Römischen nicht so quälend langsam, hätten die Evangelischen nie ein Bein auf die Erde gekriegt.«
»Probier es mit der Liebe aus! Ich verordne sie dir, als Medizin. Soll ich dir ein Rezept ausstellen?«
»Wen soll ich denn nehmen? Ich kenne kaum Frauen, die meisten sind zu dumm für mich. Oder zu alt. Oder verheiratet. Sie sehen mich und heiraten einen anderen Mann. Hermine wäre gut, aber die will ja nur Euch.«
»Wer sagt das denn?«
»Na wer wohl? Alle. Alle in Halle.«
»Oh.«
»Seid Ihr überrascht? Seht Ihr, Liebe macht eben doch dumm. Liebe ist, wie wenn du von der Brücke in die Saale springst und danach hast du Wasser in den Ohren und kriegst es nie mehr heraus, so sehr du auch den Kopf schüttelst.«
»Du hast ja eine poetische Ader.«
»Ach, das ist Poesie? Sieh an. Ich habe nie gewusst, was …«
51
Später am Tag traf man sich im Schloss, um in kleiner Runde zu sprechen. Die Fürstin bemühte sich um Haltung, alle zehn Minuten wechselte sie das zerdrückte Tuch in ihrer Hand gegen ein
Weitere Kostenlose Bücher