Doctor Sleep (German Edition)
war wohl eher das Nörgeln. Wenn sie nicht gerade eine Höllenangst hatte jedenfalls.
»Auf geht’s, Leute«, sagte Crow. » Wenn er tatsächlich stirbt, braucht er das nicht mit Publikum zu tun.«
»Er wird es schaffen«, sagte Harpman Sam. »Grampa Flick ist zäher als ein altes Suppenhuhn.« Aber er legte den Arm um Baba the Red, die erschüttert wirkte, und zog sie einen Moment lang eng an sich.
Dann setzten sich alle in Bewegung. Manche warfen einen letzten Blick über die Schulter, bevor sie die Stufen hinuntergingen, um sich zu den anderen zu gesellen. Als sie nur noch zu dritt waren, trat Rose ans Bett.
Grampa Flick starrte zu ihr empor, ohne sie zu sehen. Seine Lippen hatten sich vom Zahnfleisch zurückgezogen. Große Büschel seiner dünnen weißen Haare waren ausgefallen und lagen auf dem Kopfkissen, was ihm das Aussehen eines an Staupe erkrankten Hundes verlieh. Die Augen waren riesig, feucht und von Schmerz erfüllt. Bis auf ein Paar Boxershorts war er nackt. Der dürre Körper war mit roten Flecken übersät, die wie Pickel oder Mückenstiche aussahen.
Rose wandte sich an Walnut und sagte: » Was zum Teufel ist das denn?«
»Koplik-Flecke«, sagte er. »Den Eindruck hab ich jedenfalls. Obwohl die normalerweise bloß im Mund zu sehen sind.«
»Drück dich klarer aus.«
Nut fuhr sich mit den Händen durch sein schütteres Haar. »Ich glaube, er hat die Masern.«
Rose schnappte entsetzt nach Luft, dann brach sie in bellendes Lachen aus. Sie hatte keine Lust, sich diesen Scheißdreck anzuhören; sie wollte Aspirin für ihre Hand, die bei jedem Herzschlag einen Schmerzimpuls aussandte. Bei dem Anblick musste sie an die Hände von Comicfiguren denken, wenn man sie mit dem Hammer bearbeitet hatte. » Wir fangen uns doch keine Tölpelkrankheiten ein!«
»Tja … früher haben wir das tatsächlich nie getan.«
Sie starrte ihn wütend an. Sie wollte ihren Hut, ohne den sie sich nackt fühlte, aber der war in ihrem EarthCruiser geblieben.
»Ich kann dir bloß sagen, was ich sehe«, sagte Nut. »Und das sind Masern.«
Eine Tölpelkrankheit. Unglaublich.
»Das ist doch einfach … Schwachsinn! «
Nut zuckte zusammen, was kein Wunder war. Sie hörte sich selbst in den eigenen Ohren schrill an, aber … ach, du lieber Himmel, Masern? Da starb das älteste Mitglied des Wahren Knotens an einer Kinderkrankheit, die selbst Kinder heute kaum noch bekamen?
»Dieser Junge mit dem Baseballhandschuh in Iowa hatte ein paar Flecke auf der Haut, aber ich hätte nie gedacht, wir könnten … weil es ja wirklich so ist, wie du sagst. Wir stecken uns nicht mit ihren Krankheiten an.«
»Das ist Jahre her!«
»Ich weiß. Nur kann ich mir vorstellen, dass die Keime im Steam von diesem Jungen waren und so irgendwie überwintert haben. Es gibt nämlich Krankheiten, die so was tun. Sie bleiben passiv, manchmal mehrere Jahre lang, bevor sie plötzlich ausbrechen.«
»Bei Tölpeln vielleicht!« Das wiederholte sie nun schon zum x-ten Mal.
Walnut schüttelte nur den Kopf.
» Wenn Gramps es hat, wieso haben wir es dann nicht alle? Bei Tölpeln verbreiten sich diese Kinderkrankheiten – Windpocken, Masern, Mumps – doch im Handumdrehen. Das ist einfach unlogisch.« Sie sah Crow Daddy an und widersprach sich sofort selbst. »Sag mal, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, die anderen hier rumstehen und seine Luft atmen zu lassen?«
Crow zuckte bloß die Achseln, ohne den Blick von dem zitternden alten Mann auf dem Bett abzuwenden. Sein schmales, wohlgeformtes Gesicht wirkte nachdenklich.
»Alles verändert sich«, sagte Nut. »Bloß weil wir vor fünfzig oder hundert Jahren immun gegen Tölpelkrankheiten waren, heißt das noch lange nicht, dass wir es jetzt noch sind. Schließlich könnte das Teil eines natürlichen Vorgangs sein.«
» Willst du damit etwa sagen, an dem Zustand ist etwas Natürliches dran?« Sie deutete auf Grampa Flick.
»Ein Einzelfall ist noch keine Epidemie«, sagte Nut. »Und es könnte ja tatsächlich etwas anderes sein. Aber wenn es noch mal vorkommen sollte, müssen wir den Betroffenen unter strenge Quarantäne stellen.«
» Würde das was bringen?«
Er zögerte lange. »Ich weiß nicht recht. Vielleicht haben wir es alle. Vielleicht ist es wie ein gestellter Wecker oder wie Dynamit mit einem Zeitzünder. Laut neuesten wissenschaftlichen Theorien ist dies auch die Art, in der Tölpel altern. Sie leben vor sich hin, ohne dass sich groß was ändert, und dann schaltet sich etwas, was in
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