Doctor Sleep (German Edition)
ihren Genen steckt, plötzlich an. Schon tauchen Runzeln auf, und mit einem Mal brauchen sie einen Stock zum Gehen.«
Crow hatte währenddessen Grampa beobachtet. »Da geht er hinüber. Scheiße! «
Grampa Flicks Haut wurde milchig. Dann durchscheinend. Als sie allmählich vollständig transparent wurde, konnte Rose seine Leber, die verschrumpelten, grauschwarzen Säcke seiner Lunge und den pulsierenden, roten Knoten seines Herzens sehen. Sie konnte seine Venen und Arterien sehen wie die Highways und Schnellstraßen auf dem Navigationssystem im Fahrerhaus ihres Wohnmobils. Und die Sehnerven, die von den Augen zum Gehirn führten, sahen aus wie gespenstische Bindfäden.
Dann kehrte er zurück. Die Augen bewegten sich, richteten sich auf Rosie und hielten ihren Blick fest. Er griff nach ihrer unverletzten Hand. Ihr erster Impuls bestand darin, sie wegzuziehen – wenn er das hatte, was Nut meinte, dann war er ansteckend –, aber scheiß drauf. Wenn Nut recht hatte, waren sie dem ohnehin alle bereits ausgesetzt gewesen.
»Rose«, flüsterte er. »Lass mich nicht allein.«
»Tu ich bestimmt nicht.« Sie setzte sich aufs Bett und verschränkte ihre Finger mit seinen. »Crow?«
»Ja, Rose.«
»Das Päckchen, das du nach Sturbridge geschickt hast – das wird man dort doch eine Weile aufbewahren, oder?«
»Klar.«
»Na gut, dann bringen wir das hier erst zu Ende. Aber wir können es uns nicht leisten, zu lange zu warten. Dieses Mädchen ist wesentlich gefährlicher, als ich dachte.« Sie seufzte. » Wieso treten Probleme bloß immer im Rudel auf?«
»Das mit deiner Hand, hat sie das etwa irgendwie gemacht?«
Das war eine Frage, die Rose nicht beantworten wollte. »Ich werde nicht mitfahren können, weil die Kleine mich jetzt kennt.« Außerdem, dachte sie, ohne es zu sagen, wenn Walnut recht hat, braucht man mich hier, um Mutter Courage zu spielen. »Aber wir müssen sie uns schnappen. Das ist wichtiger denn je.«
» Weil?«
» Wenn sie die Masern schon hatte, dann ist sie wie alle Tölpel immun dagegen, sich ein zweites Mal anzustecken. Deshalb wäre ihr Steam womöglich in vieler Hinsicht nützlich.«
»Heutzutage werden Kinder doch gegen dieses ganze Zeugs geimpft«, sagte Crow.
Rose nickte. »Das könnte auch helfen.«
Grampa Flick begann wieder zu kreisen. Es war schwer, das mit anzusehen, aber Rose zwang sich dazu. Als sie die Organe des alten Kerls durch die pergamentartige Haut hindurch nicht mehr erkennen konnte, sah sie zu Crow hoch und hob ihre zerschrammte Hand.
»Außerdem … müssen wir ihr eine Lektion erteilen.«
2
Als Dan am Montag in seinem Turmzimmer aufwachte, waren die Namen und Nummern wieder von der Tafel gewischt und durch eine Nachricht von Abra ersetzt worden. Ganz oben sah er einen Smiley mit gebleckten Zähnen, der schadenfroh wirkte.
Sie ist gekommen! Ich war bereit und hab ihr wehgetan!
DAS HAB ICH WIRKLICH GESCHAFFT!!
Sie verdient es, also HURRA!!!
Ich muss mit dir sprechen, aber nicht so oder per Mail.
Selber Ort wie letztes Mal 15 Uhr
Dan ließ sich aufs Bett zurücksinken, bedeckte die Augen und suchte nach ihr. Als er sie fand, ging sie gerade mit drei Freundinnen zur Schule, was er gefährlich fand. Für die Freundinnen wie für Abra. Hoffentlich war Billy dort und hatte die drei im Blick. Und hoffentlich ging Billy diskret vor und wurde nicht von irgendeinem eifrigen Typen von der Nachbarschaftswache als verdächtig eingestuft und beobachtet.
(ich kann kommen John und ich fahren erst morgen los aber es muss schnell gehen und wir müssen vorsichtig sein)
(ja okay gut)
3
Dan saß wieder auf einer Bank vor der mit Efeu bewachsenen Stadtbücherei von Anniston, als Abra in ihren Schulklamot ten auftauchte, einem roten Pulli und schicken, roten Sneakers. Ihren Rucksack hielt sie an einem Träger über der Schulter. Sie sah so aus, als wäre sie seit der letzten Begegnung ein ganzes Stück gewachsen.
Sie winkte. »Hi, Onkel Dan!«
»Hallo, Abra. Wie war’s in der Schule?«
»Super! Für mein Biologiereferat hab ich eine glatte Eins bekommen!«
»Setz dich mal her, und erzähl mir davon.«
Sie kam auf die Bank zu, so voller Anmut und Energie, dass sie fast zu tanzen schien. Wache Augen, gerötetes Gesicht: ein gesunder Teenager, bei dem alle Signale auf Grün standen. Alles an ihr drückte aus, dass sie startbereit war. Eigentlich kein Grund, ein mulmiges Gefühl zu haben, aber Dan hatte trotzdem eins. Eines war immerhin in bester Ordnung: Ein Stück weit
Weitere Kostenlose Bücher