Doctor Sleep (German Edition)
»Denk nach, bevor du trinkst« lautete ein Spruch der Anonymen Alkoholiker, aber Casey K. ermahnte ihn während ihrer wöchentlichen Zusammenkünfte, grundsätzlich nachzudenken, bevor er etwas tue. Du bist nicht trocken geworden, um dich bescheuert zu verhalten, Danny. Denk dran, wenn du das nächste Mal anfängst, auf dieses beschissene Komitee in deinem Kopf zu hören.
Aber diese verfluchten Fingerspuren.
Carling fläzte auf seinem Stuhl, den er an die Wand zurückgekippt hatte. Inzwischen mampfte er Schokodragees mit Pfefferminz. Statt Popular Mechanics las er ein Fotomagazin, auf dessen Cover der neueste rüpelhafte TV -Serienstar abgebildet war.
»Mr. Hayes ist von uns gegangen«, sagte Dan sanft.
»Schade«, erwiderte Carling, ohne von seiner Zeitschrift aufzublicken. »Aber dafür sind die ja hier, nicht w…«
Dan hob einen Fuß, hakte ihn um eines der Vorderbeine von Carlings gekipptem Stuhl und zog ruckartig an. Der Stuhl drehte sich zur Seite, und Carling landete mit dem Hintern auf dem Boden. Die Schachtel Schokodragees flog ihm aus der Hand. Ungläubig starrte er zu Dan hoch.
»Habe ich nun deine Aufmerksamkeit?«
»Du verfluchter …« Carling wollte aufstehen. Dan pflanzte ihm einen Fuß auf die Brust und drückte ihn gegen die Wand.
»Offenbar ja. Gut. Es wäre besser, wenn du jetzt nicht auf stehst. Bleib einfach sitzen, und hör mir zu.« Dan beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie und hielt sich daran fest. Sehr fest, denn seine Hände wollten momentan nichts als zuschlagen. Und zuschlagen. Und zuschlagen. Seine Schläfen pochten. Nur die Ruhe, sagte er sich. Lass dich nicht davon übermannen.
Aber das war nicht leicht.
» Wenn ich das nächste Mal Fingerspuren an einem Patienten sehe, mache ich ein Foto und gehe damit zu Mrs. Clausen, und dann fliegst du in hohem Bogen raus, egal mit wem du bekannt sein solltest. Und sobald du hier nicht mehr arbeitest, finde ich dich und schlage dir die Fresse ein.«
Carling kam auf die Beine, wobei er die Wand als Stütze verwendete und Dan ständig im Blick behielt. Er war größer als dieser und wog etwa fünfzig Kilo mehr. Er ballte die Fäuste. »Das möchte ich mal sehen. Wie wär’s denn mit jetzt gleich?«
»Gern, aber nicht hier«, sagte Dan. »Hier wollen zu viele Leute schlafen, und da hinten liegt ein Toter. Einer mit den Spuren deiner Finger am Leib.«
»Ich hab ihm bloß den Puls gefühlt, sonst nichts. Du weißt doch, wie leicht die blaue Flecke kriegen, wenn sie Leukämie haben.«
»Das weiß ich«, sagte Dan. »Aber du hast ihm absichtlich wehgetan. Ich weiß zwar nicht, wieso, aber ich weiß, dass du’s getan hast.«
In Carlings trüben Augen flackerte es. Das war keine Beschämung, zu einer solchen Empfindung war der Kerl wohl kaum fähig. Nur ein Unbehagen, weil er durchschaut worden war. Und Furcht davor, erwischt zu werden. »Maulheld. Doctor Sleeeep . Meinst wohl, deine Scheiße stinkt nicht, was?«
»Komm schon, Fred, gehen wir nach draußen. Ich freue mich richtig darauf.« Das stimmte. In seinem Innern war ein zweiter Dan. Der saß zwar nicht mehr so nah an der Oberfläche wie früher, aber er war immer noch da und immer noch der miese, irrationale Scheißkerl, der er immer gewesen war. Aus den Augenwinkeln sah er Claudette und Janice im Flur stehen. Mit weit aufgerissenen Augen hielten sie sich aneinander fest.
Carling dachte nach. Ja, er war größer, und er hatte mehr Reichweite. Aber abgesehen davon war er außer Form – zu viele gefüllte Burritos, zu viele Dosen Bier, wesentlich weniger Puste, als er in seinen Zwanzigern gehabt hatte –, und im Gesicht des dürren Kerls da vor ihm war etwas Besorgniserregendes. So etwas hatte er früher schon gesehen, damals in seiner Biker-Zeit. Manche Typen hatten äußerst wacklige Sicherungen im Schädel. Die knallten leicht durch, und wenn das geschah, brannten solche Typen so lange, bis sie ausbrannten. Er hatte Torrance für einen schüchternen Waschlappen gehalten, der sich nicht traute, die Klappe aufzumachen, aber da hatte er sich wohl getäuscht. Die Geheimidentität dieses Typen hieß nicht Doctor Sleep, sie hieß Doctor Crazy.
Nachdem er das alles sorgfältig durchdacht hatte, sagte Fred: »Dafür ist mir meine Zeit zu schade.«
Dan nickte. »Gut. Dann holen wir uns beide keine Frostbeulen. Aber denk dran, was ich gesagt habe: Wenn du nicht im Krankenhaus landen willst, passt du in Zukunft gut auf deine Hände auf.«
» Mal ehrlich: Wer gibt dir
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