Doctor Sleep (German Edition)
eigentlich das Recht, dich derart aufzuspielen?«
»Keine Ahnung«, sagte Dan. »Ganz ehrlich.«
7
Dan ging auf sein Zimmer zurück und stieg gleich wieder ins Bett, konnte jedoch nicht einschlafen. Seit er im Hospiz arbeitete, hatte er etwa vier Dutzend Besuche am Totenbett gemacht, und normalerweise war er danach ruhig gewesen. In dieser Nacht war er es nicht, woran Fred Carling schuld war. Er zitterte immer noch vor Zorn. Seinem Bewusstsein war dieses rote Unwetter zuwider, aber irgendein primitiver Teil von ihm genoss es. Wahrscheinlich hatte das schlichtweg genetische Ursachen; die Natur triumphierte über das, was anerzogen war. Je länger er trocken blieb, desto mehr alte Erinnerungen kamen an die Oberfläche. Besonders klar waren die an die Wutanfälle seines Vaters. Er hatte gehofft, Carling würde auf sein Angebot eingehen. Dann wären sie hinaus in den Schnee und den Wind gegangen, wo Dan Torrance, der Sohn von Jack, diesem wertlosen Penner eine Abreibung verpasst hätte.
Weiß Gott, er wollte nicht wie sein Vater sein, der sich auch in seinen nüchternen Phasen nur mit größter Mühe hatte beherrschen können. Das AA -Programm sollte dabei helfen, mit der eigenen Wut umzugehen, und meistens tat es das auch, aber es gab Zeiten wie diese Nacht, in denen Dan bewusst wurde, wie wacklig die Barriere war. Zeiten, in denen er sich wertlos fühlte, und dann kam es ihm so vor, als wäre Schnaps das Einzige, was er verdiente. In solchen Zeiten fühlte er sich seinem Vater ganz nah.
Er dachte: Mama.
Er dachte: Zucka.
Er dachte: Wertlose Penner müssen ihre Medizin einnehmen. Und du weißt ja, wo die verkauft wird, oder? Praktisch überall.
Der Wind steigerte sich zu einer wilden Bö und ließ den Turm ächzen. Als er nachließ, war das Mädchen von der Tafel da. Dan konnte es fast atmen hören.
Er zog eine Hand unter dem Federbett hervor. Einen Moment lang schwebte sie einfach in der kalten Luft, und dann fühlte er, wie ihre – klein, warm – sich hineinschob. »Abra«, sagte er. »Du heißt Abra, aber manchmal nennt man dich Abby. Das stimmt doch, oder?«
Es kam keine Antwort, und eigentlich brauchte er auch keine. Alles, was er brauchte, war das Gefühl dieser warmen Hand in seiner. Es dauerte nur einige Sekunden, aber das war lang genug, ihn zu trösten. Er schloss die Augen und schlief ein.
8
Zwanzig Meilen weit entfernt, in der kleinen Stadt Anniston, lag Abra Stone wach in ihrem Bett. Die Hand, die ihre umschlossen hatte, hielt sie einige Augenblicke fest. Dann verwandelte sie sich in Dunst und war verschwunden. Aber sie war da gewesen. Er war da gewesen. Sie hatte ihn in einem Traum gefunden, doch als sie aufwachte, hatte sie festgestellt, dass dieser Traum echt war. Sie hatte in der Tür eines Zimmers gestanden. Was sie dort gesehen hatte, war gleichermaßen schrecklich und wunderbar. Da war der Tod, und der Tod war beängstigend, doch da war auch Hilfe gewesen. Der Mann, von dem die Hilfe gekommen war, hatte Abra nicht sehen können, der Kater jedoch schon. Der Kater hatte einen Namen, der so ähnlich war wie ihrer, aber nicht derselbe.
Er hat mich nicht gesehen, sondern gespürt. Und wir waren gerade eben noch zusammen. Ich glaube, ich hab ihm geholfen, so wie er dem Mann, der gestorben ist, geholfen hat.
Das war ein guter Gedanke. Abra hielt sich daran fest (wie sie die Phantomhand festgehalten hatte), während sie sich auf die Seite drehte, ihren Stoffhasen an die Brust drückte und einschlief.
Kapitel fünf
DER WAHRE KNOTEN
1
Der Wahre Knoten war zwar kein amtlich eingetragenes Unternehmen, aber wenn er eines gewesen wäre, dann hätte man manche Käffer in Maine, Florida, Colorado und New Mexico als seine Firmenstädte bezeichnet. Es waren Orte, in denen sämtliche größeren Geschäfte und viele große Grundstücke im Besitz des Knotens waren, verschleiert durch ein Gewirr von Holding-Gesellschaften. Diese Orte, die schillernde Namen wie Dry Bend, Jerusalem’s Lot, Oree und Sidewinder trugen, dienten dem Knoten als gelegentliche Zuflucht, aber die Wahren blieben nie lange dort; sie zogen meistens durch die Lande. Auf der Fahrt über die Schnell- und Fernstraßen Amerikas habt ihr sie vielleicht schon einmal gesehen. Vielleicht war es auf der I-95 in South Carolina, irgendwo südlich von Dillon und nördlich von Santee. Vielleicht war es auf der I-80 in Montana, in der hügligen Landschaft westlich von Draper. Oder in Georgia, während ihr euch langsam – wenn ihr wisst, was gut
Weitere Kostenlose Bücher