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Doctor Sleep (German Edition)

Doctor Sleep (German Edition)

Titel: Doctor Sleep (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Winkel des rechten Auges schwoll ein Blutstropfen an. » Vorher war jedenfalls nichts, das wissen wir alle, also liegt es da nicht nahe, dass nachher auch nichts kommt?«
    »Aber es kommt etwas.« Dan wischte Charlie mit dem feuchten Waschlappen das Gesicht ab. » Wir hören nie völlig auf zu sein, Charlie. Ich weiß nicht, wieso das möglich ist und was es bedeutet, ich weiß bloß, dass es so ist.«
    »Können Sie mir helfen hinüberzugelangen? Es heißt, Sie können so was.«
    »Ja. Ich kann Ihnen helfen.« Dan ergriff nun auch Charlies andere Hand. »Es geht nur darum, einzuschlafen. Und wenn Sie aufwachen – das werden Sie nämlich –, wird alles besser sein.«
    »Im Himmel? Meinen Sie den Himmel?«
    »Das weiß ich nicht, Charlie.«
    Die Kraft war in dieser Nacht ungeheuer stark. Er spürte sie wie eine elektrische Strömung durch die ineinander verschränkten Hände fließen und schärfte sich ein, ganz sanft zu sein. Ein Teil von ihm bewohnte den versagenden Körper und die schwindenden Sinne
    (beeil dich bitte)
    die allmählich versagten. Er bewohnte einen Geist
    (beeil dich bitte es ist Zeit)
    der immer noch so scharf wie früher war und sich der Tatsache bewusst war, dass er seine letzten Gedanken dachte … zumindest als Charlie Hayes.
    Die blutunterlaufenen Augen schlossen sich, dann gingen sie wieder auf. Ganz langsam.
    »Es ist alles gut so«, sagte Dan. »Sie brauchen nur Schlaf. Der Schlaf wird Sie heilen.«
    »Nennen Sie das so?«
    »Ja. Ich nenne es Schlaf, und Sie können gefahrlos einschlafen.«
    »Gehen Sie nicht weg.«
    »Das werde ich nicht. Ich bin bei Ihnen.« Das war er auch. Es war sein schreckliches Privileg.
    Charlies Augen schlossen sich wieder. Als Dan seine ebenfalls schloss, sah er in der Dunkelheit einen langsamen, blauen Puls. Einmal … zweimal … stopp. Einmal … zweimal … stopp. Draußen wehte der Wind.
    »Schlafen Sie ein, Charlie. Es geht Ihnen gut, aber Sie sind müde und Sie brauchen Schlaf.«
    »Ich sehe meine Frau.« Ein ganz schwaches Flüstern.
    »Tatsächlich?«
    »Sie sagt …«
    Mehr kam nicht, nur ein letzter blauer Pulsschlag hinter Dans Augen und ein letztes Ausatmen des Mannes auf dem Bett. Dan öffnete die Augen, lauschte dem Wind und wartete auf das, was als Letztes geschah. Es kam wenige Sekunden später: ein matter roter Dunst, der aus Charlies Nase, Mund und Augen aufstieg. Eine alte Krankenschwester in Tampa – sie hatte in etwa dasselbe Funkeln wie Billy Freeman – nannte es den »letzten Hauch«. Sie sagte, sie habe ihn schon viele Male gesehen.
    Dan sah ihn jedes Mal .
    Er stieg auf und schwebte über dem Körper des alten Mannes. Dann löste er sich auf.
    Dan schob den rechten Ärmel von Charlies Schlafanzugjacke hoch, um nach dem Puls zu tasten. Aber das war nur noch reine Formalität.
    5
    Normalerweise verschwand Azzie, bevor es vorbei war, in dieser Nacht jedoch nicht. Er stand neben Charlies Hüfte auf der Bettdecke und starrte auf die Tür. In der Erwartung, dort Claudette oder Janice vorzufinden, drehte Dan sich um, aber da war niemand.
    Genauer gesagt war da doch jemand.
    »Hallo?«
    Nichts.
    »Bist du das kleine Mädchen, das manchmal was auf meine Tafel schreibt?«
    Keine Antwort. Doch da war irgendjemand, ganz bestimmt.
    »Ist dein Name Abra?«
    Ganz leise, wegen dem Wind fast unhörbar, erklang eine Abfolge von Klaviertönen. Dan hätte das für Einbildung halten können (der Unterschied zwischen Einbildung und einem hellsichtigen Moment war nicht immer erkennbar), wäre da nicht Azzie gewesen, dessen Ohren zuckten und dessen Augen unverwandt auf den leeren Türrahmen blickten. Jemand war dort und beobachtete alles.
    »Bist du Abra?«
    Wieder erklangen mehrere Töne, dann herrschte Stille. Diesmal jedoch drückte sie Abwesenheit aus. Wie immer das Mädchen hieß, es war verschwunden. Azzie dehnte sich, sprang vom Bett und marschierte hinaus, ohne sich noch einmal umzublicken.
    Dan blieb noch eine Weile an Ort und Stelle sitzen und lauschte dem Wind. Dann stellte er das Bett flach, zog Charlie das Laken übers Gesicht und machte sich auf den Weg zum Stationszimmer, um zu melden, dass jemand auf dem Stockwerk gestorben sei.
    6
    Nachdem er seinen Anteil an dem notwendigen Papierkram erledigt hatte, ging Dan zur Imbissecke. Früher wäre er gerannt, die Fäuste schon geballt, aber diese Zeit war vorüber. Nun setzte er einfach einen Fuß vor den anderen, wobei er langsame, tiefe Atemzüge tat, um Herzschlag und Gedanken zu beruhigen.

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