Doener, Machos und Migranten
verhindert werden, dass Schüler, die schon mehrfach wiederholt haben, in eine Klasse mit weit jüngeren Kindern kommen. Beispiel: Ein 14-jähriger Schüler, der bereits in der Grundschule zwei Klassen wiederholt hat und auch in der Förderschule sitzenzubleiben droht, wird trotz schwacher Leistungen altersgemäß eingestuft, damit er nicht mit 11-jährigen Klassenkameraden konfrontiert wird. Dann müsste er nicht nur mit seinenschwachen Schulleistungen zurechtkommen, sondern hätte vermutlich auch noch mit psychischen Belastungen zu kämpfen. Zu Beginn meiner Lehrtätigkeit bestand noch die Möglichkeit, sehr schwache oder leistungsstarke Schüler zu Schuljahresbeginn eine Klasse tiefer oder höher zu stufen. Das ist heute in dieser Form nicht mehr möglich, um zu erreichen, dass Schüler im 10. Schulbesuchsjahr auch wirklich die 10. Klasse absolviert haben und nicht mehr in Klasse 7 oder 8 sitzen. Daher werden Schüler der Förderschule altersgemäß beschult, unabhängig von ihren kognitiven Leistungen.
Als eine Höher- bzw. Tieferstufung jedoch noch möglich war, wurde Domenik von einer Kollegin, die ihn ein ganzes Schuljahr lang erlebt hatte, zum neuen Schuljahr hin eine Klasse höher gestuft. Nach ihren Aussagen gehörte er zu den Leistungsträgern ihrer Klasse und war mit dem Lehrstoff der 3. Klasse gänzlich unterfordert. Also kam er anstatt in die 4. in die 5. Klasse. Da er bereits zwei Klassen in der Grundschule wiederholt hatte, schien dies vom Alter und von den Schuljahren her durchaus vertretbar zu sein.
Ein Jahr später stellte sich die Situation ein wenig anders dar, denn der einstige Leistungsträger hatte einen starken Abstieg hinnehmen müssen. Domeniks Klassenlehrer war zu der Auffassung gelangt, dass der Junge nach der 5. Klasse in fast allen Lernbereichen so große Rückstände aufwies, dass er trotz intensiver Förderung nicht die Lernziele der 6. Klasse erreichen würde. Domenik sei leistungsschwach und schon jetzt mit den Unterrichtsinhalten völlig überfordert. Folglich sollte er die 5. Klasse ein zweites Mal durchlaufen. Soweit die ebenso unterschiedlichen wie widersprüchlichen Aussagen seiner beiden Lehrer.
Meine Kollegin, die in meiner Parallelklasse unterrichtete, hatte in ihrem Fachunterricht Domenik bereits kennen gelernt und lehnte es kategorisch ab, ihn in ihrer Klasse aufzunehmen.Zur Begründung führte sie an, sie habe bereits zahlreiche negative Erfahrungen mit dem Jungen gemacht und das Klima zwischen ihnen sei alles andere als gut. Zudem befürchtete sie, dass dieser unterschwellige Konflikt zwischen Schüler und Klassenlehrerin kontraproduktiv für die anderen Schüler sein könne. Da ich in Sachen Domenik noch unvoreingenommen war, erklärte ich mich bereit, ihn zu übernehmen. Aus damaliger Sicht fand ich mein Verhalten sehr kollegial, heute erscheint es mir jedoch ziemlich naiv. Ich glaubte tatsächlich, Domenik könne bei mir und in seiner neuen Klasse unbelastet sozusagen bei «null» anfangen. Bei dieser Einschätzung spielte vermutlich eine Rolle, dass ich in meiner fünfjährigen Lehrtätigkeit zuvor noch nicht allzu viele schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Doch Domenik und sein Vater sollten dafür sorgen, dass ich dies nun nachholte.
Domenik war ein kleiner und schmächtiger, sehr blasser Junge mit hellblonden Haaren und blauen Augen. Rein optisch ein eher unauffälliges Kind. Seit der Trennung seiner Eltern lebte er bei seinem Vater, der daher bei allen schulischen Angelegenheiten mein Hauptansprechpartner war. Auch von ihm hatte ich bereits im Vorfeld mehrfach gehört. Neben Domenik lebten noch die drei und fünf Jahre alten Töchter seines Vaters mit in der gemeinsamen Wohnung. Sie stammen aus einer Beziehung des Vaters mit einer anderen Frau, von der er inzwischen jedoch wieder getrennt lebte. Der Mann war mehrfach vorbestraft. Wegen Drogenmissbrauch, Diebstahl und Körperverletzung hatte er eine Weile im Gefängnis gesessen. Obwohl der hagere Mann mit den verhärteten Gesichtszügen erst Anfang dreißig war, sah er gut zehn Jahre älter aus. In seiner Physiognomie spiegelte sich bereits seine negative Lebenseinstellung. Meist trug er eine enge Röhrenjeans, die seine extrem dünne Figur betonte, dazu T-Shirt, Jeansjackeund Turnschuhe. Seine Haare waren kurz geschnitten, seine Augen bewegten sich bei jeder Begegnung nervös hin und her. Unterschiedliche Tätowierungen zierten seine Unterarme. Noch bevor er das Schulgebäude betrat, rauchte er in der Regel
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