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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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der einen Seite, die Frauen mit kleinen Kindern auf der anderen. Auf der Bühne waren zwei barocke und ziemlich kitschige Polstersessel, die einem Sonnenkönig zur Ehre gereicht hätten, platziert. Offensichtlich waren dies die Sitzplätze für das Brautpaar.
    Bei unserer Ankunft waren die Brautleute noch nicht anwesend. Meine Kollegin und ich nahmen im Frauenblock Platz. Niemand begrüßte uns, vielmehr wurden wir durch etliche Gäste beäugt. Unsere Tischnachbarinnen wirkten nicht wirklich gastfreundlich. Das war ich von keiner türkischen Hochzeit gewohnt. Nach einiger Zeit, die mir unendlich lang erschien, zog das Brautpaar endlich in den Festsaal ein. Mit gellenden Zungentrillern – Indianergeschrei ähnlich – wurde es von den engsten Familienmitgliedern und Freunden begrüßt, umringt und zur Tanzfläche vor der Bühne geführt. Eine Zweimannband spielte lautstark arabische Lieder. Als Begleitinstrument diente ein Keyboard. Als wir in der Menschenmenge Zabrins Mutter und ihre älteste Tochter Kouza entdeckten, sahen wir, dass beide weinten. Diese Tränen der Freude und des Abschiedsschmerzes, die ihnen über die Wangen strömten, sind eine traditionelle Verhaltensweise, die von den Frauen erwartet wird, wenn ein weibliches Familienmitglied die letzte Nacht im Elternhaus verbringt. Vielleicht waren bei der Brautmutter auch Tränen der Erleichterung dabei, weil sie aus ihrer Sicht die Verantwortung für ihre jungfräuliche Tochter nun an die Familie des Mannes weitergeben durfte. Ab dem Zeitpunkt der Hochzeit musste sie sich keine Gedanken mehr um ihre Familienehre machen.Die Braut unterstand ab sofort der Familienehre ihres Mannes.

    Ein Kameramann filmte das Brautpaar, wie es mit fast jedem Hochzeitsgast tanzte. Ich hatte das Gefühl, dass jeder Gast unbedingt auf diesem Hochzeitsvideo zu sehen sein wollte. Es schien ihr alleiniges Ziel zu sein. Nach ein paar Sekunden rissen die weiblichen Gäste an der Hand der Braut und blickten direkt in die Kamera. Und schon zerrte die Nächste an der Braut. Die männlichen Gäste rissen sich hingegen um die Hand des Bräutigams. Ein solches Hochzeitsvideo wird später bei Besuchen untereinander immer wieder gerne angesehen.
    Irgendwann durfte sich das völlig verschwitzte Brautpaar auf den Thronsesseln ausruhen. Dies war der Moment für mich und meine Kollegin, dem jungen Paar zu gratulieren, einen Geldumschlag zu überreichen und uns gleichzeitig zu verabschieden.

    Vor ihrer Hochzeit hatte Zabrin noch einmal ihre ehemalige Schule besucht und mir dabei erzählt, dass sie auch nach der Heirat weiter an einer berufsvorbereitenden Maßnahme des Arbeitsamtes teilnehmen wolle. Sie habe dies mit ihrem zukünftigen Mann abgesprochen und er habe nichts dagegen. Zabrin träumte von einer Ausbildung zur Arzthelferin.
    Schon kurz nach der Hochzeit erfuhr ich von einer anderen Schülerin, dass Zabrin schwanger sei und ihre Maßnahme abgebrochen habe. Als ich meine Verwunderung über diese Entwicklung äußerte, teilte mir die Schülerin im Vertrauen mit, dass ihr Mann auf Nachwuchs gedrängt hätte. Ich wusste, dass Zabrin sich mit Kindern, solange sie noch keine Ausbildung hatte, Zeit lassen wollte. Anscheinend hatte ihr Mann seine Meinung unmittelbar nach der Eheschließung geändert. In sehr traditionellen islamischen Familien darf der Einflussder Verwandten nicht unterschätzt werden. Mit Nachwuchs wird einerseits die Abhängigkeit der Frauen gefördert, andererseits wird der Wunsch der Eltern des Mannes nach Enkelkindern erfüllt. Es ist ein Muss für junge Paare. Ich wünsche mir jedoch, dass Zabrin in ihrer Mutterrolle einige Dinge anders macht als ihre eigene Mutter.
4. Familienbande – Ugur
    Als ich Ugur zum ersten Mal sah, fiel mir sofort seine positive Ausstrahlung auf. Er blickte vergnügt drein und hatte stets ein Lächeln im Gesicht. Jeder, der ihn sah, hatte das Gefühl, der Junge würde sich über etwas freuen. Ugurs tiefschwarze, lebendige Augen spiegelten sein Wesen: Er war ein fröhlicher, lebendiger Junge, der schon fast die Grenze zur Hyperaktivität streifte. Mit seinen zwölf Jahren war er einer der ältesten Schüler der Klasse. Allerdings sah man ihm sein Alter nicht an, denn für einen Zwölährigen war er viel zu dünn, beinahe mager – vielleicht die Folge einer schweren Herzoperation, die er als kleines Kind über sich hatte ergehen lassen müssen.
    Ugur war sehr drahtig und sportlich. Trotz seines «Fliegengewichts» mangelte es ihm nie an Mut.

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