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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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Sobald ihn jemand auch nur schief ansah, ging er augenblicklich auf Konfrontationskurs. Was mit einem lauter werdenden Streitgespräch begann, mündete allzu oft in eine handfeste Prügelei. Dabei spielte es für Ugur keine Rolle, ob ihm ein größerer und körperlich überlegener Gegner gegenüberstand. Feigheit konnte man ihm wahrlich nicht nachsagen.
    Mir als Respektsperson gegenüber zeigte er sich eher scheu und äußerst schweigsam. Wenn ich ihn auf ein bestimmtes Problem ansprach, antwortete er fast nie. Meist senkte er den Blick zu Boden. Dann verschwand das Lächeln für kurze Zeitaus seinem Gesicht. Nicht ein einziges Mal widersprach er mir oder machte abfällige Bemerkungen.

    Ugur stammt aus einer türkischen Familie, die aus Erzurum nach Deutschland ausgewandert war. Erzurum ist die größte Stadt Ostanatoliens und liegt auf einem knapp 2000 m hohen Hochplateau. Seine Familie ist nicht gerade repräsentativ für unsere Schulform, denn sie gehört der Mittelschicht an. Ugurs Eltern führen ein großes, florierendes Friseurgeschäft in der Gelsenkirchener Innenstadt. Die älteren Geschwister, Onkel, Tanten und zum Teil angeheiratete Verwandte helfen im Laden mit, sodass dort fast die gesamte Familie arbeitet. In all den Jahren, die ich Ugur nun schon kenne, war er immer sehr gepflegt gekleidet und trug stets einen hochmodernen Haarschnitt.

    Ugur ist das vierte von sechs Kindern. Wie seine drei älteren Brüder stammt er aus der ersten Ehe seines Vaters. Nachdem Ugurs leibliche Mutter verstorben war, hatte der Vater seine jetzige Frau geheiratet, mit der er zwei weitere Kinder hat. An seine leibliche Mutter konnte sich Ugur nicht mehr erinnern. Meine Ansprechperson in allen schulischen Angelegenheiten war zunächst seine Stiefmutter. Sie kümmerte sich rührend um den Jungen und nannte ihn «oglum» (mein Sohn). Er wiederum sprach sie mit «anne» (Mama) an.
    Aufgrund des Verlustes seiner leiblichen Mutter, über dessen genaue Umstände niemand in der Familie sprach, wurde Ugur übermäßig verwöhnt. Seine Stiefmutter erzählte mir einmal, dass sie sich nichts zuschulden kommen lassen wolle. Sie habe Angst vor dem Gerede der Familie und des sozialen Umfelds. Keiner solle ihr nachsagen, sie würde Ugur anders behandeln als ihre zwei leiblichen Kinder. Bei all unseren Treffen betonte sie immer wieder, wie glücklich sie doch sei,dass ihr Stiefsohn eine türkische Lehrerin habe. Sehr schnell zeigte sich, dass sie auf ein spezielles Verständnis unter Türken setzte, und glaubte, eine Landsfrau würde ihre Probleme als Stiefmutter sehr viel besser verstehen. Die Mär der bösen Stiefmutter existiert schließlich auch im Orient.

    Nach einer Weile traten bei Ugur schulische Probleme auf: ständig fehlende Hausaufgaben, extreme Albernheiten bei Fachlehrern und das Provozieren bestimmter Mitschüler. Im Vergleich zum Verhalten einiger seiner Klassenkameraden waren das noch harmlose Vergehen. Als ich Ugurs Stiefmutter darüber in Kenntnis setzte, bat sie mich, doch einmal ihrem Mann davon zu berichten. Vermutlich befürchtete sie, er könne ihren Bericht sonst abtun. «Das soll mein Mann doch lieber aus Ihrem Munde hören. Sie wissen ja, wie die Leute sonst reden.» Obwohl ich ihre Befürchtungen nicht teilen konnte, nahm ich sie ernst. Mit anderen Worten: Ich musste ein paar Besuche im Friseurladen machen, denn Ugurs Vater war ein viel beschäftigter Geschäftsmann und konnte so die angebotenen Gesprächstermine in der Schule oft nicht einhalten.

    Schon bei unseren ersten Treffen registrierte ich, dass er genau wie meine Eltern Lehrer als absolute Respektsperson ansah. Er war äußerst höflich und zuvorkommend, hörte sich alle Geschichten über seinen Sohn stumm an und verabschiedete mich freundlich. Weder stellte er Fragen noch kommentierte er etwas. Das sehr zurückhaltende Verhalten des Vaters erinnerte mich an seinen Sohn. Vermutlich hat er auch nach meinem Besuch mit Ugur kein einziges Gespräch über sein schulisches Verhalten geführt.
    Der Verlust seiner leiblichen Mutter und die überstandene schwere Krankheit trugen dazu bei, dass Ugur in vielerlei Hinsicht zum Pascha erzogen wurde und die Familie ihmgegenüber stets Nachsicht walten ließ. Obwohl Ugur eine Sonderstellung in der Familie genoss und sozusagen in Watte gepackt wurde, durfte er an allen Klassenfahrten und Aktivitäten außerhalb der Schule teilnehmen. Seine Eltern erkundigten sich lediglich bei mir, ob ich auch gut auf ihren Sohn

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