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Doener, Machos und Migranten

Titel: Doener, Machos und Migranten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betuel Durmaz
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aufpassen würde. Jedes Mal gab ich die klassische muslimische Antwort: «Mit Allahs Hilfe». Danach stand dem nächsten Schulprojekt unter Ugurs Mitwirkung nichts mehr im Wege.

    Für mich als Lehrerin bedeutete das Heraushalten der Familie aus dem schulischen Alltag, dass Ugurs Probleme, die in der Schule aufkamen, ausschließlich dort angegangen werden konnten. Auf eine Mithilfe der Familie konnte ich nicht setzen. Häufig musste Ugur seine fehlenden Hausaufgaben im Förderunterricht nacharbeiten. Das störte ihn nicht besonders, denn er war gerne in der Schule. Da er ein extrem guter und begeisterter Sportler war, hatte ich schnell ein Mittel gefunden, um ihn zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Es traf ihn besonders hart, wenn er an bestimmten sportlichen Aktivitäten nicht teilnehmen durfte. Mit einigen Schülern trainierte ich nach der Schule regelmäßig und über Monate hinweg Langstreckenläufe. Ugur wollte unbedingt einen Halbmarathon mitlaufen. Während der vielen Laufeinheiten entwickelte sich eine Art Vertrauensverhältnis zwischen ihm und mir. Während unserer Trainingsphase gab er sich im Fachunterricht weitaus mehr Mühe als bisher. Den Lohn für das kontinuierliche Training erntete er, als er als erster Schüler unserer Laufgruppe beim Halbmarathon durch das Ziel kam.

    Auch privat war er war nie einer der gesprächigsten Schüler, dennoch hatte ich das Gefühl, dass sich eine Form des Miteinanders zwischen uns entwickelte, in der er sich gut aufgehoben fühlte. Anscheinend habe ich einen nachhaltigen Eindruckbei ihm hinterlassen, denn er lud mich zur Abschlussfeier der 10. Klasse ein, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr seine Klassen- oder Fachlehrerin war. Mehrmals fragte er nach, ob ich nach meinem Unterricht wirklich kommen würde.

    Auch in der Folgezeit strengte sich Ugur dann am meisten an, wenn die Androhung, von einer gemeinsamen Sportveranstaltung ausgeschlossen zu werden, über ihm schwebte. Allerdings bedeutete das nicht, dass er in der Schule zum «Überflieger» wurde. So schnell er auf dem Fußballplatz oder beim Laufen war, so lange dauerte es, bis er im Unterricht seine Aufgaben erledigt hatte. Ugur war immer einer der letzten Schüler, die einen Text von der Tafel abschrieben. Während seine Mitschüler im Kunstunterricht mit einer neuen Arbeit beschäftigt waren, malte oder gestaltete er noch an einem Thema, das wir bereits zwei bis drei Wochen zuvor abgeschlossen hatten.

    Beim Schreiben von Zahlen und auch bei einfachen Rechenoperationen machte sich seine Rechenschwäche bemerkbar. Er verwechselte ständig Einer-, Zehner- und Hunderterzahlen. Mit Hilfe von unterschiedlichem Anschauungsmaterial konnte er jedoch im Laufe der Zeit verschiedene Aufgaben selbstständig lösen. Mit zunehmendem Alter wurde er im Unterricht konzentrierter, ohne allerdings schneller zu werden.

    Nach zwölf Schuljahren verließ Ugur die Förderschule mit dem Abschlusszeugnis der Förderschule nach Klasse 10.

    Sein weiterer Weg ist mit Sicherheit nicht repräsentativ für unsere Schülerschaft. Ugurs Eltern können ihm in ihrem Friseurgeschäft eine Arbeit anvertrauen, die seinen Fähigkeiten entspricht. Schon zu Schulzeiten hatte Ugur dort mitAufräumarbeiten, Tee- und Kaffeekochen für die Kunden, kleinen Botengängen und diversen anderen Arbeiten sein Taschengeld aufgebessert. Ich habe keinen Zweifel, dass er auch in Zukunft seinen Platz im elterlichen Geschäft finden wird. Auf dem freien Arbeitsmarkt hingegen gibt es solche Arbeitsstellen nicht – zumindest kann man von dem für Hilfs- und Handlangerdienste gezahlten Lohn nicht leben. Einzig der Familienbetrieb schafft für Ugur ein soziales und finanzielles Netzwerk, das ihn auffängt.
5. Wie werde ich vom Täter zum Opfer? – Domenik
    Egal wie groß eine Schule ist, es gibt immer ein paar Schüler, die wirklich jeder Lehrer kennt, ganz gleich, ob er sie unterrichtet oder nicht. In der Regel sind es Schülerinnen oder Schüler, die durch besondere Begabungen, besondere Leistungen oder ihr freundliches Wesen aufgefallen sind. Es gibt aber auch an jeder Schule Schülerinnen und Schüler, die durch ihr negatives Verhalten in aller Munde sind. Regelmäßig sorgt ihr Verhalten für Gesprächsstoff im Lehrerzimmer. Ein Schüler dieser ganz besonderen Art war Domenik.

    Ich kannte Domenik schon lange bevor er in meine damalige 5. Klasse wechselte. In der Regel werden Schüler der Förderschule nach ihrem Alter eingestuft. Damit soll

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