Doener, Machos und Migranten
Vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse schien es offensichtlich, dass ich etwas gegen seinen Sohn hatte und mich nicht um ihn kümmerte, selbst dann nicht, wenn er eindeutig verletzt war. Sein Sohn war also nicht mehr länger ein Täter, sondern wurde zum Opfer. Mit dieser Taktik versuchte sein Vater uns einzuschüchtern, denn letzten Endes warf er uns bzw. mir mangelnde Sorgfaltspflicht vor.
Mir war sofort klar, dass sich Domenik diese Verletzung keinesfalls in der Schule zugezogen haben konnte, sondern eher auf dem Weg nach Hause oder in seiner Freizeit nach der Schule. Natürlich konnte ich das nicht beweisen, und sein Vater bestand zunehmend aggressiver auf seiner Version der Geschichte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Domenik den Übeltäter nicht identifizieren konnte, obwohl sichalle Schüler untereinander kennen. Auch unser Schulleiter blieb äußerst skeptisch, zumal jeder Lehrer verpflichtet ist, die Verletzung eines Schülers in ein gesondertes Buch einzutragen. Dennoch sagte er Domeniks Vater zu, zukünftig stets ein offenes Ohr für Domenik zu haben. Domenik könne sich jederzeit, wenn er sich von mir missverstanden fühle, an ihn wenden.
Doch die Konflikte mehrten sich. Wie in jedem Jahr besuchten wir eines Tages gemeinsam mit der Parallelklasse einen landwirtschaftlichen Betrieb, auf dem eine Kollegin wohnt. Er befindet sich in Wetter, wo wir mit Bus und Zug (inklusive mehrmaligem Umsteigen) hinfuhren. Auf dem Hof können wir unterschiedliche und jahreszeitlich bedingte Arbeitseinsätze durchführen. Insbesondere für jene Schülerinnen und Schüler, die im Schulalltag häufig einen lustlosen und wenig interessierten Eindruck machen, bietet die Landwirtschaft vielfältige Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten. So ist der Hof bei allen Schülern ein sehr beliebter außerschulischer Lernort.
Im Vorfeld bitten wir die Eltern, die Kinder für einen solchen Arbeitseinsatz entsprechend anzuziehen. Jeder kann sich vorstellen, wie die Kleidung und die Schuhe nach einem solchen Einsatz auf dem Bauernhof aussehen. Auf der Rückfahrt machte es sich Domenik im Zug bequem und legte seine Füße, die noch in seinen völlig verdreckten Schuhen steckten, auf den gegenüberliegenden Sitz. Selbst als meine Kollegin und ich ihn darauf ansprachen, weigerte er sich, die Füße herunterzunehmen. Er hörte überhaupt nicht auf uns. Also beschlossen wir, ihn nicht mehr an Klassenausflügen teilnehmen zu lassen. Ein Schüler, der sich weigert, auf die Anordnungen seiner Lehrerinnen zu hören, stellt ein zu großes Risiko dar.
Domeniks unverschämtes Verhalten nahm täglich zu und führte immer häufiger zu einem Trainingsraumbesuch. Oft verließ er schimpfend das Klassenzimmer und lief nach Hause. Seine Schulmaterialien waren kaum vorhanden, sodass er beispielsweise weder Texte abschreiben noch im Kunstunterricht mitarbeiten konnte. Erneut musste sein Vater in der Schule erscheinen. Diese Mal jedoch benahm er sich vom ersten Moment an äußerst aggressiv und schrie mich im Beisein des Schulleiters und meiner Kollegin an. Mit «dem bisschen Hartz-IV-Geld» sei er nicht in der Lage, sofort alle Materialien zu kaufen. Warum gerade ich als Pädagogin dafür kein Verständnis habe, sei ihm völlig schleierhaft. Seine Kinder müssten schon auf genügend Dinge verzichten. Außerdem würde ich seinen Sohn absichtlich von allen Klassenaktivitäten wie Ausflügen ausschließen, ohne ihm eine weitere Chance zu geben. Jedes Kind habe ein Anrecht auf Rehabilitation. Wir würden eine Art Ausschlusspädagogik betreiben. So seine Vorwürfe in Kurzfassung. Zu dem Vorfall mit den verdreckten Schuhen äußerte er sich ebenfalls: «Natürlich darf Domenik seine dreckigen Schuhe nicht auf den Sitz legen. Wenn ich mit ihm Zug fahre, zieht er immer die Schuhe aus und legt sie dann auf den gegenüberliegenden Sitz. Er muss da was durcheinander gebracht haben.» Ich versicherte dem Mann, dass sein Sohn jeden Morgen eine neue Chance bekäme. Einmal mehr hatte ich das Gefühl, mich für meine pädagogischen Maßnahmen rechtfertigen zu müssen.
Kurze Zeit später erhielt ich über die Schule den Brief eines Rechtsanwaltes. Darin gab er an, er sei mit der Vertretung der Rechte von Domenik und seinem Vater beauftragt. In dem Brief wurde mir vorgeworfen, dass ich Domenik vom Kunstunterricht ausschließen würde. Sollte dieser Zustand weiter bestehen, würde sich der Anwalt im Namen seiner Mandanten mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde an
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