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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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ich stelle mir unseren Dienst seit seiner Reorganisation — mit einem Streich, durch die konservative Regierung - gerne als den Gesundheitsdienst des Neuen Testaments vor. Die Bücher, die ihm vorausgingen - das Erste Grüne Papier, das Zweite Grüne Papier, die Fachberatungsakte, sogar das Weiße Papier —, vergleiche ich mit den Büchern der Propheten. Von der Gottheit des Ministers ergießt sich die Macht durch die DHSS in 14 RHas und 90 AHAs bis zu 205 DMTs, die den Segen an das gemeine Volk weitergeben. Unter dem Gesundheitsdienst des Alten Testaments —»
    «Hoffentlich treffen diese verdammten Komiteemitglieder bald ein», sagte Sir Lancelot. «Ich muß zu Mittag unbedingt in London sein.»
    Er stand auf und schritt zum Fenster. Er trug seinen üblichen formellen Anzug, dazu als Aufhellung eine knallrot-gelb gestreifte Krawatte. Man hatte eine außerordentliche Sitzung des Städtischen Gesundheitsamtes einberufen. Obgleich das Heilige-Grab-Hospital für die Behandlung von Kranken gänzlich ungeeignet war, ließen sich darin ausgezeichnete Sitzungen abhalten. Über der mit Richtungsweisern gespickten Decke der Eingangshalle erstreckte sich ein hoher, getäfelter Saal mit einem großen steinernen Kamin; in der Mitte stand ein Tisch, allem Anschein nach solid genug, daß ein Sinfonieorchester darauf Platz hätte nehmen können. An den Wänden rundum hingen Bildnisse schwarzgewandeter Viktorianer, in deren wohlwollenden Gesichtsausdruck sich Verschlagenheit eingeschlichen hatte.
    Es war der alte Beratungssaal, in dem sich jetzt Mr. Clapper und Sir Lancelot befanden. Hier pflegte der Vorstand des Arbeitshauses zu entscheiden, ob ein Brocken Hammelfleisch zusätzlich zum Erbensbrei gestattet werden oder ob man in heiligem Zorn die unsteten und undankbaren Armen verrecken lassen sollte. Später dann berieten die Irrenwärter hier über Zwangsjacken und Gummizellen. Danach trachteten die ehrenamtlichen Hospitalverwalter, den Betrieb durch Spenden von Geschäftsleuten weiterzuführen, die auf den Adelsstand hofften, durch Hausfrauen, die den Vorübergehenden Fähnchen anhefteten, und durch Töchter des Mittelstands, die eine unbezahlte zehnstündige Schwesternarbeit auf sich nahmen, um sich dabei einen Arzt als Ehemann zu angeln. Nun hallte der Saal von den Diskussionen des Städtischen Gesundheitsamtes wider.
    «Zumindest ist jetzt Ron Cherrymore aufgekreuzt», bemerkte Sir Lancelot, der in den Hof des Gebäudes hinunterblickte. «Er scheint eine Freundin getroffen zu haben.»
    Während Ron sein Moped vor dem Haupteingang an einen Laternenpfahl kettete, vernahm sein Ohr ein beschleunigtes Atmen. Er richtete sich auf und bemerkte die sommersprossige Schwester, die ihn aus dem Korridor weggeführt hatte.
    «Erinnern Sie sich noch an mich?» fragte sie schüchtern. «Ich bin Schwester Tosker. Vergangene Woche in der Unfallabteilung. Hab Ihren Knöchel verbunden. Hoffentlich geht’s Ihnen schon besser?»
    «Natürlich erinnere ich mich an Sie.» Er nahm ihre Hand feierlich in seine beiden, schüttelte sie und blickte mit seinen unschuldsvollen blauen Augen in ihre sandfarben bewimperten. Er trug noch immer Jeans, das geblümte Hemd und die Kette. «Aber darf ich Ihnen, obwohl es ja nur eine Verstauchung und keine Fraktur war, meine Bewunderung dafür aussprechen, wie ruhig und gewissenhaft Sie sich Ihrer Aufgabe entledigt haben? Sie gehen sichtlich in unserem prächtigen Gesundheitsdienst auf, ja, Sie sind sogar inspiriert von ihm. Er wird uns ja auch, wie alle Leute wissen, von sämtlichen zivilisierten Nationen geneidet.»
    Sie lächelte ihn scheu an. «Nicht jeden Tag lege ich Hand an einen Lord.»
    Er ließ ihre Finger fallen, als zappelte etwas Glitschiges zwischen ihnen. «Ich bin kein Lord», schärfte er ihr streng ein. «Jeder Mensch in Spratt’s Bottom kennt meine Ansichten über das House of Lords. Es sollte lieber in eine öffentliche Kegelhalle verwandelt werden. Kein Umbau nötig.»
    «Ich meine...Sie fühlen sich wie ein Lord an», sagte sie hold errötend.
    «Aber alle Menschen fühlen sich doch gleich an?» fragte er in freundlicherem Ton. «Rein äußerlich, zumindest. Daran kann doch niemand zweifeln?»
    «Ach nein. Es ist ein gewisses Etwas an Ihnen...ein Hauch von Klasse. Sie riechen anders als die gewöhnlichen Patienten.»
    «Riechen?» Er erinnerte sich, daß sein verblichener aristokratischer Vater ein spezielles Aroma hatte, allerdings nur nach dem Lunch. Er starrte sie verblüfft an. Sie

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