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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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den gesunden Menschenverstand und gerechten Zorn des britischen Volkes zu verlassen», sagte Ron.
    «Man muß den Leuten erst sagen, daß sie zornig und vernünftig sind», führte Sir Lancelot aus. «Sonst denken sie an allerlei andere Dinge. Es dürfte jetzt nicht gar so schwerfallen, nachdem das ganze Land, nach den Fernsehnachrichten vom vergangenen Donnerstag, auf das Heilige Grab aufmerksam geworden ist. Ich stelle den formellen Antrag, jede Anweisung des Ministeriums, das Hospital zu schließen, durch uns, das Städtische Gesundheitsamt, mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu bekämpfen. Wer ist dafür?» Ron und Harold hoben die Hände. «Da Mr. Clapper nicht mitstimmt, ich aber die entscheidende Stimme habe, ist der Antrag angenommen. Die Sitzung wird vertagt.»
    «Das ist eine Farce», beschwerte sich der Dean.
    «Das ist Demokratie», korrigierte ihn Sir Lancelot.
    «Obgleich wir nur fünf sind?»
    «Mehr Leute, als zu unseren Gewerkschaftsversammlungen kommen», sagte Harold. «So setzen wir durch, was wir wollen.»
    Der Dean stand auf. «Ich will mit dieser Sache nicht noch mehr Zeit vergeuden.»
    «Es hat keinen Sinn, Lancelot», sagte Jenny und sammelte ihre Unterlagen ein. «Whitehall trägt ja am Ende doch den Sieg davon. Wie immer.»
    «Ah, Kaffeepause», rief Harold, als ein Mädchen im Overall einen Rollwagen hereinschob. «Hast du den Schokoladekuchen dabei, den ich verlangte, Süße?»
    Ron holte Jenny auf der Treppe ein. «Sollten wir uns nicht diese umstrittene Decke ansehen gehen?» Sie willigte ein. Während sie von der Wandelhalle zum langen, fensterlosen Korridor schritten, sagte er aufgeregt: «Ich habe eine phantastische Neuigkeit zu vermelden, Jenny.»
    «Du verteilst Preise in einer sozialistischen Sommerschule?»
    «Ich soll zum Anwärter auf den nächsten Labour-Abgeordnetensitz für Spratt’s Bottom ernannt werden», erklärte er stolz. «Es ist schon alles eingeleitet. Der Bruder von diesem miesen kleinen Sapworth — will sagen, Bruder Harolds Bruder — ist im Wahlkomitee. Ich habe eine ausgezeichnete Chance, so wie die Dinge jetzt stehen, bei den nächsten Wahlen dranzukommen.» Er rieb sich die Hände. «Dann gibt’s nichts, was mich noch halten könnte. Ich kann jetzt schon die glänzenden Preise sehen, die mir winken — Privatsekretär eines Abgeordneten zu werden, Staatssekretär, Kabinettsmitglied. Wer weiß, vielleicht auch Premierminister.»
    «Meine herzlichsten Glückwünsche.»
    «Danke. Nur etwas macht mir noch Sorgen.»
    «Ja?»
    «Meine Laufbahn ist dermaßen vielversprechend, daß es als Ehrgeiz ausgelegt werden könnte, wenn ich sie mit niemandem teilen wollte. Jenny...du und ich, wir sind doch Professionals, nicht wahr? Und unsere professionellen Politiker schreien sich nicht mehr gegenseitig an, sobald sie ihre Debatten hinter sich gebracht haben. Wahrscheinlich hat sich deshalb die Demokratie so lange in unserem Land halten können. Ich biete dir eine enorme Chance. Vergiß deine Tory-Phrasendrescherei, und komm zu mir zurück.»
    «Ein recht kühler Antrag.»
    «Aber wir waren doch so glücklich, als wir noch miteinander an der Londoner Schule für Sozialwissenschaften studierten!»
    «Ja, gewiß», gab sie zu. «Es machte Spaß, in diesem Zimmer hinter dem Britischen Museum gemeinsam von Würstchen, Bohnen und spanischem Burgunder zu leben. Aber miß dem nicht zuviel Bedeutung bei. Überall halten es die Studenten so.»
    «Aber wir liebten einander doch», sagte er tiefernst und zerrte an seiner Kette. «Auf eine so wunderschöne, unschuldige Art. Du warst die Tochter eines gewöhnlichen kleinen Mannes, eines Zeitungshändlers an der Straßenecke, und besuchtest eine gewöhnliche Gesamtschule, bevor du ein Stipendium erhieltest -»
    «Ja, und deshalb wurde ich eine Tory. Kein Mensch hat mir je im Leben geholfen. Ich half mir selbst zu meinem Leben.»
    «Damals hattest du noch nicht deine Plackerei hinter dem Ladentisch vergessen und mehr Sympathie für die Arbeiter.»
    «Damals hattest du auch noch nicht auf deinen Titel verzichtet und mehr Sympathie für andere Leute.»
    Er sah sie hochmütig an. «Hoffentlich behauptest du nicht, daß ich ein Heuchler bin?»
    «Du weißt sehr wohl, Ronnie - Ron -, daß jeder Politiker gelegentlich ein munterer Heuchler sein muß, genauso wie jeder erfolgreiche Arzt gelegentlich ein munterer Lügner sein muß.» Sie waren beim leeren Operationssaal angelangt, durch dessen großes Loch man den Himmel erblickte.

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