Doktor auf Abwegen

dienen: dem Patienten.»
    Sie nahm ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Handtasche, riß es auf, legte es dann aber schleunigst wieder zurück. «Fahren wir zu diesem altehrwürdigen Monument zurück, das Sie ein Hospital nennen?» Sie waren in den Regents Park eingebogen.
    «Oh, im Heiligen Grab werde ich mindestens einen Monat lang nicht mehr operieren, erst bis das Dach wieder oben ist.» Als er ihr Erstaunen bemerkte, fuhr er fort: «Wir Briten denken gern sorgfältig nach, bevor wir eine Sache in Angriff nehmen. Watt hat doch auch seinen Dampfkessel nicht gleich auf Räder gesetzt, nicht wahr? Und nachdem Fleming das Penicillin in seinem vollgestopften kleinen Labor entdeckt hatte, brauchte es noch an die zwölf Jahre, bis jemand es tatsächlich erzeugte.»
    «Wohin fahren wir also dann?»
    «Zu Lord’s.»
    Sie hob die Augenbrauen. «Zum House of Lords?»
    «Nein. An einen Ort, wo man sich fallweise ähnlich gut unterhalten kann.»
    Es war der erste Tag des Test Match, des internationalen Kricket-Vergleichskampfs. Das Wetter war strahlend, auf dem Spielplatz wimmelte es von Leuten, Sir Lancelot deutete durch eine Kreissäge mit rot-gelb-gestreiftem Band an, daß er dienstfrei hatte. Er führte Amelia durch das Eingangstor und an der Hinterseite des Pavillons vorbei zur Haupttribüne.
    «Vielleicht sollte ich mich später im Bunter’s umziehen», sagte Amelia, verwirrt um sich blickend. «Hier sieht es irgendwie sehr kirchlich aus.»
    «Es ist tatsächlich genannt worden», bestätigte er. «Wir stehen auf Thomas Lords Kricket-Spielplatz, der seit der Schlacht von Waterloo hier existiert. Von einem namhaften Bauexperten, Sir Nikolaus Pevsner, ist er auch als ein bezeichnet worden. Was in englischen Ohren wie Schmeichelei klingt. Sie werden vielleicht schon bemerkt haben, daß ich die Klubkrawatte trage.»
    «Ich hielt sie für etwas Chirurgisches — Gold auf blutrotem Grund. Wen soll ich durch Zurufe anfeuern?»
    «England spielt gegen Australien. Aber hierzulande schreit man nicht.»
    «Ein Museum!» rief sie und deutete auf ein Zeichen über einer offenstehenden Tür. «Baseballfans sehe ich nie von ihren Sitzen aufstehen und in Glasvitrinen gucken.»
    «Vielleicht ein aufschlußreicher Hinweis auf den Unterschied zwischen den beiden Spielen? Die Vitrinen enthalten W. C. Graces Schuhe und ähnliche Dinge. Er war der Babe Ruth des Kricketspiels und, wie ich mit Stolz sagen darf, ein Kollege von mir.»
    Amelia war über Sir, Lancelots entspannte und knabenhaft übermütige Stimme erstaunt. Schon fragte sie sich, ob er am Ende unter Drogeneinfluß stehe. «Können wir da nicht Platz nehmen?»
    «Leider darf nur eine einzige Frau den Pavillon betreten. Und Ihre Majestät wird erst Samstag vor der Teezeit erscheinen.»
    «Am Samstag? Wie lange dauert denn diese ganze prachtvolle Veranstaltung um Gottes willen?»
    «Fünf Tage.»
    «Aber ich habe einen sehr ausgefüllten Zeitplan!» rief Amelia in Panik.
    «Man sieht sich nur einen kleinen Ausschnitt an, das Ergebnis ist, im Vergleich mit dem Spiel, unerheblich. Vielleicht wissen Sie nicht, daß das Oxford Dictionary Kricket als zur Charakterisierung des hinterhältigen Benehmens eines Menschen eine Unterstellung enthält, die ernste Folgen nach sich ziehen kann, weil insbesonders alle unsere Richter Anhänger dieses Spiels sind. Ich habe einen kleinen Lunch mitgebracht», fügte er hinzu, indem er auf einen großen Eßkorb wies, den er trug.
    «Ah, da ist ja Sir Lancelot», begrüßte ihn ein urwüchsiger Zuschauer. «Wir sind Ihnen heute sehr dankbar, Sir. Ihr Messer hat Jowler wieder in Form gebracht.»
    «Besten Dank, Sir.»
    Sie setzten sich auf einem sonnigen Platz hinter der Umfriedung des mittleren Tors auf den Rasen.
    «Hübsch sieht das aus», sagte sie anerkennend. «Ein Ballett in Weiß auf Grün. Warum streben die Spieler in alle Richtungen auseinander?»
    «Es ist vorbei.»
    «Was, schon? Was tun sie denn dann die übrigen vier Tage? Und warum macht dieser Mann Striptease vor dem andern, der wie ein Barmixer angezogen ist?»
    «Jowler zieht, um sich auf den Wurf vorzubereiten, sein Leibchen aus und übergibt es dem Schiedsrichter.»
    «Aber er geht doch in die falsche Richtung.»
    «Nur Geduld.»
    Jowler blieb knapp