Doktor auf Abwegen
vorwurfsvoll.
«Natürlich nicht. Wenn man an Gedächtnisschwund leidet, möchte man das, glaub mir, vergessen.»
Pip schlang seine weißbeärmelten Arme zärtlich um sie. «Mein Engelchen, du tust mir ja so leid.»
«Ich riß mich deinetwegen zusammen, um Spratt’s Bottom wieder zu betreten. Aber jetzt, seitdem ich hier bin, entdecke ich, daß ich’s nicht kann.»
«Natürlich, du hast hier eine schreckliche traumatische Erfahrung gemacht.» Er kratzte seinen Strohkopf. «Aber, Liebste, wenn wir von hier weggehen, bevor wir noch ausgepackt haben, trifft Sir Lancelot der Schlag.»
Cindys Kopf erschien in der Tür zum Sprechzimmer. «Die Spritze ist bereit, Doktor.»
«Ich darf meinen Patienten nicht im Stich lassen. Wir reden nachher darüber, ja?»
Eva wandelte geistesabwesend im Raum herum. Bald faßte sie eine spanische Weinflasche aus gefärbtem Glas an, die wie eine Urinflasche aussah, bald kappte sie das Haupt eines großen spanischen Strohesels, der als Papierkorb diente. Mit gerunzelter Stirne rieb sie langsam die Hände aneinander. Dann sprang sie in die Höhe. Big Bens Glockenspiel hatte eingesetzt.
«Verzeihung -» In der Tür der Wohndiele erschien eine kleine, mollige, brünette, rotwangige, muntere junge Frau in engen Jeans und einem gelben T-Shirt. Mit flatternden Händen und Wimpern fragte sie, schüchtern lächelnd: «Sind Sie die Arzthilfe?»
«Nein, ich bin die Frau des Arztes», erwiderte Eva scharf. «Sie müssen draußen warten, wie jeder andere.»
Die junge Frau lachte unterdrückt, die Hand an den Lippen. «Aber auch ich bin die Frau des Arztes. Ich bin Mrs. Bisham. Es fehlt Ihnen doch nichts, meine Liebe?» fragte sie besorgt.
«Aber Freddie — ich meine: Mr. Bisham — ist doch nicht verheiratet.»
«Naja, die letzten paar Jahre benimmt er sich wirklich so, als wär er’s nicht. Was für eine hübsche Wohndiele», sagte sie, um sich blickend.
«Mit so süßen Dingen.» Sie spielte mit ihrer Halskette aus glänzenden, bizarr geformten Metallplättchen, die Eva geradezu scheußlich fand. «Ich weiß schon jetzt, daß wir hier glücklich werden.»
«Zufälligerweise wohnen auch wir hier», teilte ihr Eva kühl mit. «Mein Mann ist der andere Stellvertreter. Wir sind soeben per Flugzeug hier eingetroffen.»
«Ist das nicht nett? Da können wir einander Gesellschaft leisten, wenn unsere Männer beschäftigt sind. Ich heiße Dawn.»
Sie streckte Eva die Hand entgegen. Eva fand diese Hand unangenehm feucht.
«Ich bin Eva Chipps.»
«Wie komisch!»
«Finden Sie den Namen so besonders komisch?»
«Mein Mann war mit einem Burschen namens Chipps dick befreundet. Als er im St.-Swithin ausgebildet wurde. Ich arbeitete auch dort, als Heilgymnastin. Aber wir lernten uns erst kennen, als der liebe Freddie und ich zusammen in Spratt’s Bottom arbeiteten.» Sie seufzte wehmutsvoll. «Im Heiligen-Grab-Hospital. Unser Treffpunkt. Wohin gehen Sie?»
«Aufs Klo. Mir ist übel. Vom Fliegen.»
Dawn besah sich inzwischen die Reproduktion von Monets «Mohnfeld», die über dem Kamin hing. «Ach, wie liebe ich die Kunst», sagte sie zu sich.
Freddie kam ins Sprechzimmer hereingeeilt. «Bist du aber schnell gekommen, Liebling. Ich stecke schon bis über die Ohren in der Arbeit, wie du siehst. Wo ist denn das verdammte Ophthalmoskop?» Er kramte in seiner Tasche herum. «Rat mal, wen Sir Lancelot als den anderen Stellvertreter aufgetrieben hat? Meinen lieben alten Kumpel Pip Chipps. Du erinnerst dich doch - ich habe dir die schauerlichsten Geschichten über die Bude erzählt, die wir in unserer Studienzeit miteinander teilten. Komisch, daß du ihm im St.-Swithin nie über den Weg gelaufen bist.»
Dawn reckte sich. «Ein Riesenhaus, das St.-Swithin. Aber ich hab soeben seine Frau kennengelernt.»
«Ja richtig, seine Frau.» Freddie hatte das Ophthalmoskop gefunden und richtete sich auf. «Und wie findest du sie?»
«Schillernd, mit scharfen Ecken, innerlich eiskalt. Sie erinnerte mich an unseren Kühlschrank.»
Er entnahm seiner Tasche ein viereckiges Fläschchen, das einen in Spiritus präparierten Appendix enthielt, küßte es und stellte es behutsam neben die spanische Weinflasche auf den Kaffeetisch aus Plastik. «Ich muß meinen Glücksbringer aufstellen, der mich überallhin begleitet.»
«Freddie —» Pip tauchte verwirrt in der Sprechzimmertür auf. «Ich kann mir nie die Dosierungen merken. Wieviel Ergotamintartrat soll ich meiner Frau geben? Sie hat schwere Migräne.»
«Null
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