Doktor auf Abwegen
strömten, Aktentaschen und den zusammengefalteten Daily Telegraph in der Hand. Ob motorisiert oder zu Fuß, die zermürbte, aber unschlagbare Armee des Mittelstands machte sich auf den Weg zur täglichen Schlacht der Selbsterhaltung.
Als der Fremdling die Avenue entlangzutrotten begann, bemerkte er erstaunt, daß ein anderer sich ihm gedankenverloren näherte. Er trug einen breitkrempigen Khakihut, der mit einem Streifen Zebrafell geschmückt war, seine hochgeschlossene, schlaksige Gestalt steckte in einem ebenfalls khakifarbenen Safarianzug, ein scharlachrotes Tuch war lose um seinen Hals und ein halbleerer Rucksack um seine Schultern geschlungen. Im Begriff, ihn um den Weg zu fragen, rief der Mann im blauen Anzug aus: «Pip Chipps!»
«Freddie Bisham!»
«Was hast du hier in dieser schauerlichen Vorstadt zur Frühstückszeit verloren?»
«Ist es denn Frühstückszeit? Bin gerade aus dem von Nairobi kommenden Flugzeug ausgestiegen. Habe den Stellvertreterposten für einen der Doktoren Turnhorn angenommen.»
«Und ich bin Stellvertreter für den anderen Dr. Turnhorn.»
«Nein! Wie kamst du zu diesem Job?»
«Durch Sir Lancelot.»
«Genau wie ich. Na prächtig!» Sie klopften einander heftig auf die Schultern. «Vier ganze Jahre muß es her sein», rief Pip, «daß wir gemeinsam bei der Abschiedsparty im St.-Swithin —»
«— den Champagner aus Bettschüsseln tranken», lächelte Freddie in seliger Erinnerung. «Aber warum hast du dich nach Kenia verkrochen?» fragte er, nachdem sie einige Minuten in Reminiszenzen geschwelgt hatten.
«Ich bin Ernährungsforscher, auf rein wissenschaftlicher Grundlage. Ich bin ein besserer Arzt, wenn ich nicht mit dem Patienten sprechen muß. Vielleicht hätte ich Anästhesist werden sollen.»
«Warum nicht gleich Pathologe?» lachte Freddie. «Dann hätten dir deine Patienten noch weniger Schwierigkeiten bereitet.» Er entdeckte eine Messingtafel. «Da sind wir schon.»
Ein sauber geharkter Kiesweg führte zwischen überladenen Blumenbeeten zu einem großen Haus in Pseudo-Tudorstil. Es hatte verschlungene Ziegelschornsteine und Butzenscheibenfenster aus rosa und grün gefärbtem Glas. Freddies Läuten an der kirchenportalähnlichen Haustür rief ein Glockenspiel hervor, das an die Präliminarien vor dem vollen Stundenschlag des Big Ben erinnerte.
Die Tür wurde sogleich von einem kleingewachsenen Mädchen in einem weißen Overall geöffnet; sie trug zudem eine weiße Haube auf ihren dunklen Locken, weiße Strümpfe und weiße Schuhe. Auf der einen Hälfte ihres quellenden Busens prangten ein Thermometer, eine Rachenspachtel, eine mit Kugelschreiber kombinierte Stablampe, farbige Filzstifte und eine an einer Schnur hängende Uhr. Auf der anderen ein großes rotes Kreuz. Sie war so jung, daß sie wie ein überentwickeltes Kind aussah, das sich verkleidet hat, um Arzt zu spielen.
«Ich heiße Cindy.» Sie lächelte breit, als die beiden sich vorstellten. «Ich komme täglich herein. Es ist ein nettes Haus in einem erstklassigen Bezirk», versicherte sie ihnen, «wenn man auch einzelne Patienten nicht riechen kann.»
Der hochpolierte Parkettboden des Vorraums war mit verchromten Stühlen bedeckt, auf denen abgegriffene Zeitschriften herumlagen. Auf einem Pult standen zwei Telefone, und zwei weiße Türen führten zu den Sprechzimmern.
«Hier ist die Wohndiele.» Cindy führte sie in einen großen Raum mit einem orangeroten Plüschteppich aus Nylon, auf dem knallig gemusterte Brücken lagen. Eine pflaumenfarbene, dreiteilige Sitzgarnitur aus Mokett mit goldenen Borten und zwei rosa Hocker mit silbernen Quasten scharten sich um einen weißen Ziegelkamin mit elektrisch beleuchteten Scheiten, der mit glänzend poliertem, messingbeschlagenem Zaumzeug, Schürhaken und Toastgabeln garniert war. Die Tapete zeigte flockige Wölkchen auf leuchtendblauem Grund, über den Schwärme von Wildenten dahinzogen. «Zur Küche geht’s da durch.» Sie wies auf einen maurischen Bogen mit einem Vorhang aus bunten, leuchtenden Kugeln. «Auch zur Treppe, die zu den Schlafzimmern hinaufführt — traumhaft kuschelig. Die Tür vis-à-vis führt zu den Sprechzimmern. Die Kippfenster öffnen sich gegen den Patio, in dem Sie Ihre Barbecues veranstalten können.» Draußen waren eine Sonnenuhr, ein Vogelbad und ein Paar Gartenzwerge zu sehen, die in einem Seerosenbecken fischten.
«Wo wurden Sie ausgebildet?» fragte Freddie.
«Wofür?»
«Ich meine, in welches Hospital gingen Sie?»
«Oh, in
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