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Doktor auf Abwegen

Doktor auf Abwegen

Titel: Doktor auf Abwegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Erfahrung -eine wie so viele andere völlig unerwartete Erfahrung - sehr nützlich und heilsam für mich ist. Jetzt weiß ich genau, wie einem Patienten zumute ist, der nervös ins Hospital eingeliefert wird. Alle Ärzte und Schwestern, die geschäftig ihren täglichen Aufgaben nachgehen, scheinen der größten Krise in seinem Leben gleichgültig gegenüberzustehen.»
    «Ach, nehmen Sie’s nicht tragisch», riet ihm der junge Polizist. «Heutzutage steht jeder normale Mensch einmal vor Gericht. Es gibt so viele Gesetze, daß man es kaum vermeiden kann, einige davon zu übertreten.»
    «Wie ist denn der Bezirksrichter?» erkundigte sich Sir Lancelot schon etwas sachlicher.
    «Heute führt Mrs. Widmore den Vorsitz.» Der Polizist schnitt eine Grimasse. «Sie hat ihre guten und ihre schlechten Tage.»
    «Was meinen Sie damit? Die Studenten pflegen das mir nachzusagen.»
    «Naja, sie kann einem schon einen fürchterlichen Schrecken einjagen. Zu anderen Zeiten, wenn man sich einen Schuldspruch auf Mord erwartet, kommt man mit einer Verwarnung wegen erhöhten Tempos davon. Aber sie ist hübsch, sehr hübsch.»
    «Das ist beruhigend. Wenn ich auch der Ansicht bin, Hübschsein gehört zu den Pflichten der Damen wie Händeschrubben zu den meinen.» Von oben hörte man Füßescharren.
    «Hier geht’s weiter», sagte der Polizist.
    Sir Lancelot schritt ihm eine kurze und schmale Treppe voran. Er sah aus wie Sokrates beim Berechnen der todbringenden Schirlingsdosis.
    Dann blinzelte er im starken Sonnenlicht, das durch die Fenster fiel. Er stand in der Anklagebank. In fünf bis sechs Meter Entfernung saßen ihm seine Richter unter dem königlichen Wappenschild auf hochlehnigen Stühlen gegenüber. Zur Linken ein Mann mit rotem Gesicht und weißem Haar, der wie ein Offizier im Ruhestand aussah. Zur Rechten ein blasser und dünner Mann mit Brille und Schnurrbärtchen, dessen müder und verdrossener Gesichtsausdruck Sir Lancelot an einen Schullehrer erinnerte. Zwischen ihnen saß in aufrechter Haltung, die Hände auf dem gebeizten Eichentisch gefaltet, eine blasse, hübsche Frau, Mitte der Dreißig; das von der glatten Stirn streng nach hinten geraffte dunkle Haar unterstrich ihre richterliche Würde.
    «Lancelot Lister Spratt», ertönte eine Stimme mit der öden Teilnahmslosigkeit einer Bahnhofsverlautbarung. «Sie werden beschuldigt, am vergangenen vierundzwanzigsten Juni auf dem Marktplatz der Stadtgemeinde Spratt’s Bottom den Sergeanten Alfred Stebenson von der Städtischen Polizei, Division Q/R, während der Ausübung seiner dienstlichen Pflichten tätlich angegriffen zu haben, indem Sie ihm, in Übertretung des Gesetzes für Öffentliche Ordnung aus dem Jahre 1936, mit einem Bündel Papier ins Gesicht schlugen. Bekennen Sie sich schuldig oder nicht schuldig?»
    «Nicht schuldig», sagte Sir Lancelot mit der Stimme Charles’ I. im Jahre 1649.
    Er richtete seine Worte an einen spitznäsigen, rothaarigen Mann in dunklem Anzug, der unterhalb der Richterbank an einem mit Akten bedeckten Tisch saß. Dieser fuhr fort: «Werden Sie von einem Anwalt vertreten?»
    «Nein, Sir.»
    «Wissen Sie, daß Sie berechtigt sind, von einem Anwalt vertreten zu werden?»
    «Es ist das Recht jedes Engländers in meiner Lage», antwortete ihm Sir Lancelot mit der Würde Warren Hastings’ vor der Schranke im House of Lords.
    «Warum nehmen Sie es dann nicht wahr?»
    «Weil mein angeborenes Mißtrauen gegenüber Rechtspersonen durch meine gelegentlichen Erfahrungen mit ihnen nur verstärkt worden ist.»
    «Ich bin natürlich als Schriftführer ein qualifizierter Anwalt», teilte der Mann ihm mit. Er griff nach einer Akte und schien jegliches Interesse am Geschick eines so verblödeten Schurken zu verlieren.
    Der Sergeant wurde bereits vereidigt.
    «Um zwei Uhr dreißig am Nachmittag des vierundzwanzigsten Juni», leierte er herunter, während er die Bibel dem Gerichtsdiener zurückreichte, «versah ich meinen Dienst als Beobachter einer Demonstration des Heiligen-Grab-Hospitals, über die wir vorher unterrichtet worden waren. Sie wurde von dem Beklagten angeführt. Ich hatte Gelegenheit, ihn dreimal zu verwarnen. Erstens wegen Überschreitens der zentralen Rasenfläche des Kreisverkehrs auf der Hauptstraße. Zweitens wegen des Versuchs, das Kriegerdenkmal zu erklettern. Drittens wegen Behinderung der freien Ausfahrt von Fahrzeugen aus dem Autopark am Marktplatz.»
    «Lag er auf dem Boden?» fragte die Vorsitzende. Sie hatte eine weiche, tiefe,

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