Doktor Erich Kästners Lyrische Hausapotheke.
schlau.
Sie hext mir meine Haare grau.
Wer weiß, was ich noch tue.
Schlaf ein, mein Kind! Mein Kindchen, schlaf!
Du hast nichts zu versäumen.
Man träumt vielleicht, man wär ein Graf.
Man träumt vielleicht, die Frau wär brav.
Es ist so schön, zu träumen …
Man schuftet, liebt und lebt und frißt und kann sich nicht erklären,
wozu das alles nötig ist!
Sie sagt, daß du mir ähnlich bist.
Mag sich zum Teufel scheren!
Der hat es gut, den man nicht weckt.
Wer tot ist, schläft am längsten.
Wer weiß, wo deine Mutter steckt!
Sei ruhig. Hab ich dich erschreckt?
Ich wollte dich nicht ängsten.
Vergiß den Mond! Schlaf ein, mein Kind!
Und laß die Sterne scheinen.
Vergiß auch mich. Vergiß den Wind!
Nun gute Nacht! Schlaf ein, mein Kind!
Und, bitte, laß das Weinen …
Kalenderspruch
Vergiß in keinem Falle,
auch dann nicht, wenn Vieles mißlingt: Die Gescheiten werden nicht alle!
(So unwahrscheinlich das klingt.)
Genesis der Niedertracht
Eines merkt man stündlich und täglich: Kinder sind hübsch und offen und gut,
aber Erwachsene sind unerträglich.
Manchmal nimmt uns das allen Mut.
Böse und häßliche alte Leute
waren als Kinder fast tadellos.
Nette und reizende Kinder von heute
werden später kleinlich und groß.
Wie ist das möglich? Was soll das heißen?
Sind denn die Kinder auch nur echt,
wenn sie den Fliegen die Flügel ausreißen?
Sind denn auch schon die Kinder schlecht?
Jeder Charakter ist durch Zwei teilbar, da Gut und Böse beisammen sind.
Doch die Bosheit ist unheilbar,
und die Güte stirbt als Kind.
Lob des Einschlafens
Man gähnt vergnügt und löscht die Lampe aus.
Nur auf der Straße ist noch etwas Licht.
Man legt sich nieder. Doch man schläft noch nicht.
Der Herr von nebenan kommt erst nach Haus.
Man hört, wie er mit einer Dame spricht.
Nun klappt man seine Augendeckel zu,
und vor den Augen tanzen tausend Ringe.
Man denkt noch rasch an Geld und solche Dinge.
Im Nebenzimmer knarrt ein kleiner Schuh.
Wenn doch die Dame in Pantoffeln ginge!
Man legt den Kopf auf lauter kühle Kissen und lächelt in den dunklen Raum hinein.
Wie schön das ist: Am Abend müde sein
und schlafen dürfen und von gar nichts wissen!
Und alle Sorgen sind wie Zwerge klein.
Der Herr von nebenan ist froh und munter.
Es klingt, als ob er ohne Anlaß lacht.
Man hebt die Lider schwer und senkt sie sacht, und schließt die Augen, - und die Welt geht unter!
Dann sagt man sich persönlich Gute Nacht.
Wenn bloß der Schwarze dieses Mal nicht käme!
Er steigt ins Bett und macht sich darin breit und geht erst wieder, wenn man furchtbar schreit.
Man wünscht sich Träume, aber angenehme, und für Gespenster hat man keine Zeit.
Man war einmal ein Kind, ist das auch wahr?
und sagte mühelos: »Mein Herz ist rein.«
Das würde heute nicht mehr möglich sein.
Es geht auch so, auf eigene Gefahr.
Man zählt bis dreiundsiebzig. Und schläft ein.
Vorstadtstraßen
Mit solchen Straßen bin ich gut bekannt.
Sie fangen an, als wären sie zu Ende.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand, als ob sich das hier nicht von selbst verstände.
Es riecht nach Fisch, Kartoffeln und Benzin.
In diesen Straßen dürfte niemand wohnen.
Ein Fenster schielt durch schräge Jalousien.
Und welke Blumen blühn auf den Balkonen.
Die Häuser bilden Tag und Nacht Spalier und haben keine weitern Interessen.
Seit hundert Jahren warten sie nun hier.
Auf wen sie warten, haben sie vergessen.
Die Nacht fällt wie ein großes altes Tuch, von Licht durchlöchert, auf die grauen Mauern.
Ein paar Laternen gehen zu Besuch.
Und vor den Kellern sieht man Katzen kauern.
Die Häuser sind so traurig und so krank, weil sie die Armut auf den Straßen trafen.
Aus einem Hof dringt ganz von ferne Zank.
Dann decken sich die Fenster zu und schlafen.
So sieht die Welt in tausend Städten aus!
Und keiner weiß, wohin die Straßen zielen.
An jeder zweiten Ecke steht ein Haus,
in dem sie Skat und Pianola spielen.
Ein Mann mit Sorgen geigt aus dritter Hand.
Ein Tisch fällt um. Die Wirtin holt den Besen.
Trinkt Magermilch! steht groß an einer Wand.
(Doch in der Nacht kann das ja niemand lesen.)
Elegie, ohne große Worte
Man kann sich selber manchmal gar nicht leiden und möchte sich vor Wut den Rücken drehn.
Wer will, ob das berechtigt ist, entscheiden?
Doch wer sich kennt, der wird mich schon verstehn.
Wenn eine Straßenbahn vorüberfegte,
kann es passieren, daß man sich höchst wundert,
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